Heft 1 - Aladar Pollak

Bin zu alt, um noch zu säen, –
Garben müssen nun entstehen
In steter Erinnerung an den 19. IX. p.m. 1911 - 1912 – meinem Mauserl!
Ra.

Ernstes und Heiteres in und ausser Theodor!
Geschrieben aus dem Leben. –
Nach Theodors Aufzeichnungen!

I. Teil. –
Motto:
Auch in dumpfer Zimmerluft –
Gedeihen Rosen voller Duft. –
Abgesondert von der verdorbenen, oft Unheil stiftenden, erbärmlich bestellten Außenwelt, abseits von dem lustigen, übermütigen Treiben seiner jugendlichen Altersgenossen, sitzt Theodor in sich gekehrt in seiner geschmackvoll, junggesellenartig eingerichteten Stube an seinem Schreibtische, das schwere, mit Jus¹ beladene Haupt auf die Linke stützend und befaßt sich da, der Pflicht und seinem „Ich“ gehorchend mit dem
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¹ Jus: österreichisch für Jura, Rechtswissenschaften.

trockenen, juridischen Studium. – Von Zeit zu Zeit verläßt er seinen Arbeitstisch, geht nervös im Zimmer auf und ab, raucht während dieser kurzen Pause einige Zigaretten, zu welchen er bloß ein Zündhölzchen aufbraucht, zieht sich die schwachen Finger beim Auf- und Abgehen allmählich durch das dichte Haar – ein Zeichen, dass er sehr zerstreut – und bald lag er wieder beruhigt über seine[n] Bücher[n]. Waren es das Konkordat¹, die Bulle² oder Brevia³, mit einem Worte die materiellen Quellen des an Blödsinne reichen Kanonischen Rechtes⁴ oder aber die Isidoriana, Pseudo-Isidoriana⁵, Gratians Dekret⁶ und wie noch die anderen Gehörmassagen heißen mögen, die ihn heute so fest hielten, daß er gar keine
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¹ Konkordat: Vertrag zwischen einem Staat und der katholischen Kirche.
² Bulle: Päpstlicher Rechtsakt.
³ Breve: Päpstlicher Erlass.
⁴ Kanonisches Recht: Kirchenrecht
⁵ Pseudo-Isidoriana: Kirchenrechtliche Fälschung des Mittelalters.
⁶ Gratians Dekret: Ein 1140 erschienenes kirchliches Dekret.

Lust an den Tag legte das Buch zu verlassen? Ich glaube meinem Theodor aus der Seele zu sprechen, wenn ich sage, dass es nichts von all dem gewesen, sondern einfach das „Citieren“– ja das für viele Leidensgefährte[n] verhängnisvoll gewesene „Citieren“. – „Ach, wenn nur das nicht wäre” so mag Theodor gedacht haben, als er in hartem Kampfe mit dem Citieren dennoch siegte, in Wirklichkeit aber unterlag, denn nach einer Stunde falls er zufällig ans Citieren denkt, da würde es ihn sicherlich citieren – aber zum Buche hin – citieren und so lange würde es ihn dann citieren, bis er nicht selbst durch das allzulange Citieren ein ganzes Citat wäre. – Tief

aber dennoch sehr leicht atmete Theodor auf, als er mit einer trotzigen, souveränen, verächtlichen Geste von sich das Buch wegstoßen konnte, wissend, seine Pflicht erfüllt zu haben, um es erst in einigen Tagen am „grünen Tische“ mit einer minder trotzigen, verächtlichen, souveränen Miene vor den „Gestrengen“, in seinem räumlich sehr engen Gehirnkästchen zu öffnen. – Ruhig sah er dem frohen Tage entgegen an welchem er abgeschlossen wie in einer Menagerie vor den Bändigern sitzen wird, die die langen, gewissen Tieren ähnelnden Ohren besitzen, die großen Augen, die etwas gemeinschaftliches mit dem Moses außer Rand, Band und

Land gebrachten Tiere haben, aufreißen, nicht etwa um ihn immer im Auge zu behalten, sondern der Zuschauer, des Publikums, des löblichen Soufleur-Amtes halber, um, daß sie ihn nicht mit einigen Worten reizen. – Schon hört er sich mit den schönen, von der ersten Prüfung her bekannten Worten: „Herr Kollega“ angesprochen, die bei einem voller Ironie sind, bei dem anderen hingegen ohne jeden Hintergedanken. – In einem Falle aber sind sie gleich; in diesem Falle sind sie von Eseln gesprochen, die einander von schlechten Zeiten erzählen. – Der eine klagt, der andere klagt und jeder behauptet, daß er schlechter daran sei. – Der Gescheitere aber – verzeiht mir

bitte diesen Ausdruck – um seiner Behauptung Geltung zu verschaffen, begann seinen Kollegen von bisher nie gehörten schweren Tagen zu erzählen. Der Kollega stutzt, macht graziöse Bewegungen mit seiner Kopfzierde und schaut ihn verständnisvoll und verwundert an, jedoch mit dem Ausdrucke nichts davon zu wissen. Darauf er, der Erhabene, der Gottvolle, der Sieger … „Aber, Herr Kollega“, wie kommt das, daß Sie das nicht wissen?" Eine kleine Pause - beide schauen sich an, nicht einer macht eine Bewegung mit den Lippen, weder ein „I“ noch ein „A“ daß sie sprechen würden – sie sind beide stumm.

Der Eine über seine Erhabenheit, der andere durch das Bewußtsein, seinen Brüdern und Kollegen nur zur Ehre gedient zu haben. Wißt ihr nun jetzt in welchem Falle sich diese Worte gleichen?
O, ich ließ Euch bei der Tatsache und brachte Euch in Theodors schwebende Zukunft. Verzeihung, Vergebung dafür! Ich will es rasch gut machen. – Theodor stieß also, in der Einbildung alles zu wissen das Buch von sich um es nicht mehr bis zur Prüfung, aber nicht zur Hand, sondern aus dem Schädel in anderer, verschlechterter Auflage zu nehmen. Glücklich darob, sich von

diesem einschläfernden Studium, wenn auch nur auf kurze Zeit losgerissen zu haben, sprang er auf, rauchte eine Zigarette an, von denen 2 erst einen Duft von 2 Hellern verrieten und ging auf seinen Bücherschrank zu, um vielleicht doch das Buch zu finden, wes [sic] er eine im Schranke sah. – Er dachte aber soviel an dieses Buch, daß er daran glaubte, anderswo es ausgeschlossen gesehen zu haben als bei seinen Büchern. Und gerade dieses Buch mußte, wollte er haben. – Eben heute wollte er mit Wagner sich befassen. – Tausende von anderen wissenschaftlichen Büchern standen ihm zur

Verfügung, an hunderten Exemplaren der modernsten Literatur durch Sherlock Holmes und Nick-Carter vertreten, konnte er sein Durst stillen, doch nein – er mußte Wagner haben. – Ein fester Wille mit nicht schlechtem Vorsatze! Andere dürften sagen: „Sie harter, ungebildeter Schädel.“ – Wo wird er aber jetzt das Beyreuther Phäminisnomen finden, um daß er dessen Loh-Nigrin, Tannenhäuser, Nebelgelungen, Waldkühe, Siegfrieden und wie da alle seine einträglichen Lieder heißen, näher kennen lernen. – Er wußte wohl, daß Loh-Nigrin

von einer Ente zu Gänschen oder Elschen, wie sie schon eigentlich hieß, gezogen wurde; daß er auf einer Henne zum Groll (sprich: Gral) zurückkehrte; er wußte auch, daß Tannenhäuser, als er sich von der Göttin der Jagd – Venus befreit, im Frühsommer auf einer Frühlingslandschaft am Fuße der Burg - als nicht Besorgnis erregende Pilger vorbeizogen, gewartet und daß sie daher die Wart-Burg benannt wurde; er erinnerte sich so ganz benebelt, daß Nebelgelungen der Riese Al-Bericht (sprich: Alberich) war, daß Fortan (sprich: Wotan) der Beherrscher

der Waldkühe (ließ: Walküre) unter denen die schönste Brunhilde, gewesen; er wußte, daß durch den Sieg des Sohnes von Siegelring (sprich: Sieglinde), den er aber ein gehetztes Lamm davontrug, der Frieden ins Land zog; des Schönsten und Erhabensen von all dem war er sich nicht bewußt. Lange dachte er nach und mit einer Miene, die wahrscheinlich auch Archimedes schnitt, deutete er an, daß er nun bald in den Besitz dieses Komponisten sein wird, welcher eine Ausnahme von allen anderen seines Faches ist, zumal er nur für den Marensplatz zu Bayreuth

schreibt und dafür sehr hochgestellte Tanten (sprich: Tantiemen) erhält. Also er hat’s gefunden. –
Heureka!!!!!!!!!
II. Teil. –
„Also gleich werde ich im Besitze des heißersehnten Buches sein“ dachte Theodor in sich. Rasch sprang er auf und auch aus seinem mit sch[???]stem Anthracen tätovierten und Dummi-Araber verpickten¹ Arbeitsanzug, zog eines der vielen, noch nicht ausbezahlten Kleider auf sich, krazte sich in der Eile die nicht besonders darunter leidende Haut
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¹ verpicken: österreichisch für verkleben.

ab, brachte sein in größter Ordnung herumwallendes Haar in Unordnung, um daß man ihn nicht noch am Ende für einen Künstler oder Poeten halte, richtete die Stelle für den künftigen Schnurrbart zurecht verdeckte mit der langen Mäne seine vielsagenden, durchs Verkleinerungsglas noch immer genug umfangreich erschimmernden Ohren und stellte sich dann zu dem ihn ein getäuschten Spiegel, um daß er seinem Gesichte durch kräftige Massage, zu einem verständnisvollen, klugen Eindrucke die Passage gebe. All dies währte kaum eine halbe Stunde. Noch einmal

schaute er sich, seine Augen und Kopf ganz verdrehend, gründlich an und rast dann durch die Gassen und Straßen wie Archimedes dahin, mit dem Unterschiede bloß, nicht so notdürftig wie Archimedes gekleidet zu sein. – Schon ist er an Ort und Stelle angelangt, er braucht nur noch die Türe zu öffnen und die Treppen hinaufzusteigen, da trifft sein „Herr Kollega“ (Honny soit qui mal y pense) und schon aus Höflichkeit mußte er mit ihm einige „kollegiale“ Worte austauschen. – Noch immer wird kollegial geplauscht, Theodor giebt durch die Ungeduld schon verwirrte Antworten,

stellt noch sinnreicher verwirrtere Fragen, wie auf Nadeln steht er schon, doch noch immer geruht nicht der Herr Kollega sich zu verduften. – Wäre Theodor von ihm eher gegangen da wäre er – „Theodor“ – schon wieder „Josef“ gewesen, besonders jetzt, da sie sich Monde hindurch nicht gesehen, zumal sie beide tüchtig – wie der Lachausdruck lautet – stinkten. – Das Gespräch der Herr Kollegen, das Theodor eine Zeit schien, in welcher er mit seinen von Shlemil geerbten Haxen schon das ganze Afdera-Semlin abgestreift hätte, wurde immer geistreicher und geistreicher, bis Theodor nicht den

Höhepunkt erreichte indem er den Kollegen eine gute Zigarette anbot, was doch des Herrn Kollegen „ceterum censeo“ gewesen und von dem geistreicher immer geistreicher blieb nichts anderes als ein „gleich-reicht-es“ übrig. – „Servus“ „servus“ und mit dem Endziele seines langen Gespräches – mit der Zigarette im Munde – geht er weiter, ganz vergnügt Theodor wieder einmal nach langer Zeit mit einer Zigarette drangekriegt zu haben. – Eiligst sprang Theodor ins Kaffeehaus hinüber, um sich vor dem Spiegel die zu Hause aufgesetzte, durch das Sprechen

jedoch in Verlor gegangene Miene zurecht zu massieren. Noch stand er nicht recht beim Spiegel, da rief ihm schon ein auserwählter Marssohn, sonst Schach- und Billard-Narr, mit dem Ausdrucke der größten Freude durch das endliche Wiedersehen entgegen: „Guten Tag; no hát¹ wi gets; lang hab ich Si nicht sehn; machn wir egy sakk partit²?“ „Danke bestens, jetzt ist es mir unmöglich,“ antwortete Theodor. – „No hát vielleicht ein Bilyár³ Partie“ meinte der gute Marssohn – „gib ich achzig auf hundert vor.“ – „Es tut mir wirklich unendlich leid nicht
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¹ no hát: ungarisch für nun.
² egy sakk partit: ungarisch für eine Partie Schach.
³ Bilyár: ungarisch für Billard.

spielen zu können, denn ich muß gehen,“ erwiederte Theodor mit einer nicht militärischen, jedoch ganz höflichen Verbeugung vor der neuneckigen Krone. „No hát jó,¹ ein andersmal“, „jó nappot,² adjee.“ – „Adieu, auf Wiedersehn.“ – Doch während dem Theodor mit dem andern Reiche der neuneckigen Krone sprach, richtete er schon Etwas, da er vor dem Spiegel stehend sprach – an seinem Gesichte zurecht, somit brauchte er jetzt einige Minuten, um daß er die richtige, vielsagende, geistreiche Miene finde und behalte. – Schon war er bei der Kaffeehaustüre, da ermahnte ihn, mit einem
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¹ No hát jó: ungarisch für na gut, dann eben nicht.
² jó napot: ungarisch für guten Tag.

„Pardon“ ganz natürlich, jener Herr, den er lieber als Minister des Äussern sehen würde und nicht als Zahlkellner. – Es waren nämlich schon einige Tage nach dem Ersten und der Zahlkellner entschuldigte sich daher bei ihm, da er die Schuld noch nicht beglichen und versprach auch zugleich selbe in einigen Tagen zu begleichen. – „Aber das macht ja nichts“ meint Theodor „Hauptsache ist, daß Sie die Schuld begleichen werden und auf par Tage kommt es ja nicht an“. – Jetzt ging er aber nicht mehr zum Spiegel zurück, denn

er fürchtete, daß er vielleicht noch einigen Schuldnern eine Aufschubfrist gewähren wird müssen und daß er sich dadurch noch umso mehr aufhalten könnte. – Der Gedanke aber, daß er mit so einem, durch das Erbarmen mit dem Zahlkellner, Wehmut verratendem Gesichtsausdrucke nicht den Anspruch auf Wagner-Lektüre erheben kann, riß ihn zurück und mit schwerer Mühe brachte er es endlich dennoch zustande richtig ausgerüstet den Spiegel und das Kaffeehaus zu verlassen. –
Auf der Straße angelangt

grüßte er Niemanden, noch erwiderte er die Grüße, denn es könnte dies seine Miene aus dem Geleise bringen. – Nachdem er sich noch gerne über ein wildrasendes, unvorschriftsmäßig dahinbrausendes Kleinherrschaftsautomobil abgeärgert hätte, von was ihn bloß der Gedanke an seinen glücklich gefundenen und aufgebürdeten Gesichtsausdruck fernhielt, kam er nun endlich ganz abgehetzt zu … zu … – ach ja, sie sah ja wie eine Ente aus – zu Enty. „Aaa …das war schön von Ihnen, daß sie doch einmal

gekommen; Papa lud Sie so oft ein und … ich freue mich wirklich Sie zu sehen.“ – „Aber geh‘ Enty mach‘ dich nicht so patzig, was sprichst du mich per „Sie“ an; hast schon daran vergessen, da deine Zöpfe von mir ausgezogen wurden ich als „Achtgeber“ in der Schule dich stets [???] ließ?“ – „Du hast recht“ – fügte Enty hinzu. Die Sache der Ansprache war somit abgetan und nun plauschten sie weiter ohne auf einen derartigen, so ziemlich peinlichen Zwischenfall gefaßt sein zu müssen. – Enty erzählte, daß sie eine absolvierte Observatoristin

sei, am Observatorium die Prüfung mit sehr gutem Erfolge abgelegt habe und daß sie deshalb sich sehr unglücklich in Semlin fühle. – Das ist der Essig ihres Gespräches, das etwas eine Stunde anhielt. – Theodor fiel nur hie und da ins Wort ein – konnte er ja doch nicht zu Worte kommen – und saß schon ganz ungeduldig, denn in seinem Gehirne bebte es --- Wagner. Ohne jeden Zusammenhang sagte Enty: „Aber weißt Du, was mir an Dir so gefällt?“, flüsterte Enty ganz leise. – „Nein“. – Mehr konnte Theodor doch nicht sagen, zumal

sie schon weiter fuhr: „Das Ruhige, das gelassene an Dir, trotzdem es in Dir nicht gerade so ruhig ist und alles in Deinem Innersten, forschend bebt.“ – Das hat Theodor aber sicher noch keiner gesagt. Er riß die Augen auf, um zu beweisen, daß er diese Worte vollkommen verstand, wenngleich er nicht bei diesen Worten gewesen, sondern in den Gedanken in Wagner schon herumblätterte. – „Darf ich Dich Theodor vielleicht mit Moszart oder einem Schoppen (sprich: Chopin) aufwerten?“ „Es ist wirklich Enty von Dir sehr lieb, aber hab Dank, ich bin noch

zu urteilen, gleich ansehen konnte, daß sie Entys Mutter sei, - Schade, daß sie nicht auch Enty heiße! „Oooo … Sie doch endlich bei uns?“ „Ja, ich auch endlich da und werde schon gespannt auf Entys Spiel.“ „Enty wird vertragen?“ „Ja, sie versprach es,“ – „Na, Na ……….!“ – Mama war gar nicht aufgebracht darüber, daß Enty allein Theodor empfieng, - Ja, was Enty tat, war wohl getan! Hat sie doch in Wien ausstudiert! – Ist das eine Kleinigkeit? Sie hat im Gänschenpensum (sprich: - Pensionat) viel

erfahren und gelernt und ist gut ausgerüstet als „tonangebend für zu Hause“ entlassen worden. – Doch zurück!
Alles schweigt im Zimmer … nur Enny spielt Chopins Noctürnen. – Mama wurde durch Ennys Blick entfernt. – Theodor saß nach vorne gebeugt im Sessel, sein gesenktes Haupt mit beiden Händen verdeckend, seine See in Chopins Schöpfungen, sein verwöhntes Ohr bei dem Spiele und Schwing; ja er schwing nach dann als Enny schon aufhörte und sprach. – Wer Theodor kennt, weiß, was für ihn

ein Schweigen bedeutet. – Lange blickt er Enny verwundert und bewundernd an, brauchte staunend bloß einige Worte hervor und ging, vergessend, daß er um Wagner gekommen sei. –
Tags darauf mußte Theodor fort und so mußte er die Wagner Lektüre dorten lassen. – In seiner Seele stand aber lange, lange Chopin und seine Brust erfüllte noch lange das süße Spiel und die wehmütigen Klänge der Nocturnen waren noch lange seine Begleiter. –
Radala

19 September 1911.
Mit gelben Blättern, sterbenden Bäumen
Hatte ein rasender Wind sein Spiel
Trieb hoch hin auf und bog sie gewaltsam
Manch junger Stamm zur Erde fiel.
Nicht rauschen die Blättern mehr am Baume
Es schweigt doch schon der höllische Wind
Es regnet und blitzt die Donner rollen
Krachend auf einander geschwind.
Da zog im Mitten solchen Gewitters

In ein mir liebliches Haus ich ein
Dort fasst ein irdisch göttliches Wesen
Mich fest ins Aug’ als trat ich ein.
Sein feuriger Blick-dem Blitze gleichen
Zerschmetterte mich-ich wurde klein
Draußen zucken die Blitze und zünden …
Sein Blick schlug in mein Herz ein …
Ra

4.I.1911.
Himmelwärts zog meiner Liebe Klagen!
In hellem Mondenscheine liegt der Schnee
Demanten gleich im Sonnenschein
In heißer Stube ich voll Liebesweh
Gebrochen sinke hin und weine.
Auf ihre Brust sank ich die zitternd bebt
Grub ein mich ganz in ihrem Armen
Und Alles scheinbar fast in mir gelebt.....
,,Kalt ist mir-drum laß,

laß mich wärmen …
Himmelwärts zog meiner Liebe Klagen!
Sie, mein Himmel hat gehört dies Klagen!
Gleich nicht kalt war mehr hier auf Erden
Eis und Schnee für mich zerran, zerging …
Vor Kälte fürchte ich jetzt nicht zu sterben …
Der erste Kuss an an ihren Lippen hing –
Und dieses Kusses Flamme weiter loht –
Lass unversehrt der Liebe Siegel!
In meinem Herzen jetzt der Vesuv tobt

Sehnsucht!
Müde lenkt ich heimwärts meine Schritte!
Dämmerung hält uns schon fest umschlungen
Da der Tag bald ausgerungen Nachtigallen schlagen süße Lieder
Hing doch schon die Sonne nieder
Schwalben zwitschernd ihre Nester suchen
Da die Jungen sie schon rufen …
Müde lenkt ich heimwärts meine Schritte!
Menschenvoll, doch leer für mich, das Gässchen!
Ganz vergebens schüchtern

meine Augen
wollten nicht ans Leere glauben
Allzuweit von mir ist sie gegangen
Soll`s dem Herze dann nicht bangen
Leer, leer, leer ist`s oben dort auf Bergen
Einsam deshalb ich auf Erden …
Menschenvoll, doch leer für mich, das Gässchen!
Meinen Geist die Sehnsucht hält gefangen
Ihre Seele hält mein Herz gefangen
Nicht zurück will ich`s verlangen
`S leuchten zu mir ihre Augensterne
Durch die Nacht trotzdem so ferne
Ganz in Banden hat sie mich geschlagen

Süß doch sind sie mir zu tragen …
Meinen Geist die Sehnsucht hält gefangen!
Meine Brust erfüllte süße Hoffnung!
Bald zu mir kehrt die Madonna wieder
Setzt sich dort auf‘s Bänkchen nieder
Nicht mehr leer ist‘s oben dort auf Bergen
Einsam bin ich nicht auf Erden
Innig kosend will ich sie umfassen
Nimmer sie dann von mir lassen …
Meine Brust erfüllte süße Hoffnung!

Müde setzt' ich mein Fuß ins Zimmer!
Ganz wollt' mein Geist sie zu mir zaubern
Lassen bald sie ohne zaudern
Nichts ist mir die Welt ohn' ihre Nähe
Glücklich, nur wenn ich sie sehe
Selig, kann ich sie umarmen
Pressen sie mit meinem Armen …
Sehnsucht plagt' mich da im trüben Zimmer!
Ra

Tiberius stirbt!
Auf Kap Miseno, wo aus Felsenspalten
Manche Heldenstirn den Schmuck erhalten,
Steht ein Haus umrauscht von Meereswellen
Gold und silber glänzt an vielen Stellen. –
Oft es zeug’ der nächtlichen Gelage
Das in diesem Haus die einz’ge Plage,
‘S verstummte ein der Silberbecher Klang,
Es graute schon, doch dort noch lebt Gesang. –
Und wenn der Morgentau auf

Palmen fiel
Noch ehrte man Bacchus beim Saitenspiel.
Doch heute in Lucullus tollen Hallen
Die schweren Vorhäng’ hinunterfallen.
Einzeln stehen dar die hellen Fenster,
‘S dünkt als hausen da jetzt nur Gespenster.
Aus den Hallen schnell Boten ziehen
Andere im Auftrag daher fliehen. –
Und wenn dar einer ausgeht oder ein
Da stehen fragend die Knechte in Reih’n:
„Ist besser schon, wird der Herr

genesen? …
Still, still – ist das nicht sein Schrei gewesen?”
Sein Ende naht – der alte Tiber stirbt –
Der Sensenmann ein neues Opfer wirbt.
‘S lag sein weißes Haupt in Purpurkissen
Sein Gesicht vom Schmerz verzehrt zerrissen. –
Finstrer war es heut als sonst im Leben,
Nur so wollt er dem Tod sich ergeben.
Wild tobt in ihm des heißen Fiebers Glut
Und langsam, langsam rollt durch Adern Blut.
Nur der Arzt hat diesen Kampf

gesehen,
Doch auch Marco durfte bei ihm stehen. –
Jetzt erhebt der Greis sich in dem Bette –
„Eis, Eis, Eis gibt mir, es brennt o, rette –
In meinem Haupt' ein Vulkan jetzt doch tobt
Im Busen flammt es, wes ehedem loht’ –
Gibt auf die Wunden Wasser kaltes her.
Da kocht, siedet, nein brennt das Blut so sehr.
Sejan, Drus’, woher diese Gestalten,
Wer rief euch, kann euch die Erd nicht halten?
Wollt ihr Tiberius sterben

sehen?
Ja schaut, es ist auch um ihn geschehen!
Ich tötet euch – doch weg, laßt mich allein –
Ich komm’ zu Euch – bald endet diese Pein.” –
Jetzt gab ihm der Arzt Arznei zu trinken
Und matt begann er nieder zu sinken.
Scheu blickt er aus den seidenen Kissen:
„Sind sie fort, kann ich sie schon vermissen?
Vielleicht war’s nur ein Spuk dass ich jetzt sah,
Er quält mich – doch komm’ setz dich zu mir da.
Nachts wenn tief ich schlief, kam

das oft zu mir –
Es plagte mich – doch andres sag’ ich dir:
Ich fühlt' auch die übermütge Jugend,
‘S lebte einst in mir manch schöne Tugend –
Bald doch wich von mir die süße Jugend –
Schlecht fand alles ich ins Innr’e lügend.
Im Innern faul für mich war jedes Ding
Und Trug und Lug fand ich wohin ich ging.
Vom Tier’ nichts höheres hab' ich gefunden
Tierisches an allem war gebunden. –
Für mich keinen Freund für

den Freund es gab –
Im Bruder versteckt oft Brudermord lag;
Für mich kein Weib, das treu dem Manne blieb,
Wohin ich lauscht‘ hört‘ ich das selbe Lied.
So die Welt, so bin auch ich geworden,
Schrecken zähmte sie, drum ließ ich morden;
Und in den Kampf zog ich gen diese Welt,
Ich jauchzt‘ zur Qual da ich sie hingestellt.
Ich saugt ihr Blut, viel, viel ließ ich morden
Jetzt genug von dem auch ist mir worden. –
Und nun bin ich gequält,

von wem, wer ist’s?
Gebrochen schau' ich und starre in das Nichts.“
Jetzt nicht weiter kommt der greise Tiber
Und vom Antlitz rann der Schweiß vom Fieber. –
Näher trat Macro: „Soll Herr ich rufen
Caligula, ja soll ich ihn suchen“?
Doch Tiber: „Kriecher, weg, mein Fluch auf Dir,
Was ist dir Cajus, was ist er denn mir?
Noch leb‘ ich, Schlange, was geht er dich an?
Cajus ist alles, nur ist er kein Mann –
Nein, diesen dummen Knaben

brauche ich nicht,
Der Tod dem Chaos das Szepter verspricht.“ –
Jäh sprang er auf und riß den Vorhang fort …
draußen im Hofe das Szepter lag dort.
Und sinnlos dann schlug er das Fenster zu …
„Macro, weg von mir, listge Schlange Du.“ –
Im Hof‘ vertieft ein Mann stand auf der Wacht
Und ihn begrüßt der Stab in dunkler Nacht.
Er hob ihn auf, nicht wissend was es sei
versank drauf tief in süße Träumerei:
An seinen Wald im Wesertal

dacht er –
Sein Weib er sah, den Sohn mit einem Speer.
Den zweiten schnizt [sic] er sich, wenn auch noch klein …
„Ein Schwert noch gib ihm hin, die Welt ist sein.“ –
Und dann der Wach‘ vom Heimatslande weit
Ein andres Bild das erste hat befreit.
Er sah als Weise sich im Morgenland
Bei dessen Herrscher Tod die Sonne schwand
Und sein Geschlecht sah in das Land er ziehn
Ein Volk er wachsen sah darin und blühn.
Er erwacht – ein Schrei drang

aus den Hallen. –
Tot ist jetzt Tiber zurückgefallen. –
Die Wache ins Morgenrot schaut jetzt kühn
Ihres Stammes Zukunft sah sie darin!
Ra

Trugbilder!
1.
Sind das reine Edelsteine
Glitzernd die dort niederliegen?
Nein, es sind des Mondes Strahlen,
die sich auf dem Meere wiegen.
2.
Donnerts? Nein; die schnellen Wogen rollen
die des Menschen Mut zu Grabe tragen;
Blitzt es? Nein; die hellen Lichter zucken,
die dem Trauerzug’s Geleite geben. –
Funkeln Sterne? Nein; die Fackel leuchten,
die des Mutes Grab gefunden

Reizlos!
Nicht des Meeres saphyrfarbnen Wogen,
die im Glanz des Mondenscheines toben,
Nicht der smaragdfarbne Saum der Wellen,
die im Mondenscheine sich zerschellen,
konnten meine Sehnsucht fesseln
Madonnen nach Dir
Du Alles mir. –
Ra

Träumerei!
Wonneberauscht war doch die Abendstunde!
Längst schon schweigt des Tages tolle Treiben,
Hin warf sich der Tag der Nacht zu Füßen,
Und durch Wonne mußt‘ das Aug‘ ich schließen
denn ums Herze ward es mir so eigen.
Neidisch guckt ein Sternlein vom Himmel
durch der Bäume rauschend Blätter nieder
Und im Grase, stimmt ich an manch Lieder
Liegend neben ihr, dem zweiten Himmel. –

Emporgetragen ich die Seele fühlte!
Abendtau aufs grüne Gras sich legte,
Perlen gleich in hellem Mondenscheine,
Freudentränen, die in mir ich weine
Als sich ihre Hand in meiner regte. –
Schatten tanzen glaubte ich zu sehen –
Nichts vor Augen konnte fest ich halten
denn ich fühlt ein wonnevolles Walten
das in höchster Lust mich ließ zergehen.
Und diese Abendstunde ist

entschwunden!
Ewig doch werd' ich der holden Stätte
Angedenken in dem Busen tragen.
Hier auf Erden in den Jugendtagen
Keine schönere gewünscht ich hätte
Doch wenn einst von Sehnsucht ich getrieben
Leg‘ ich dort ins grüne Gras mich nieder,
Zaubre her die Abendstunde wieder
In der lebenslang ich wär' geblieben. –
Ra

Weltliche Devise!
Wenn ich dort auf Bergeshöhen
jauchzen kann nach Herzenslust
dann erst fühl ich daß ich lebe,
dann erhebt sich mir die Brust …
Freiheit!
Wenn ich hör' des Himmels Mächte
Grollen über alle gleich,
Seh‘ ich gleichgestellt uns alle
Vor dem hohen Himmelsreich …
Gleichheit!
Wenn ich sehe wie manch Tierchen
Eines für das andre tut,
Dann erseh ich, daß in ihnen
rollt ein gleiches, edles Blut …
Brüderlichkeit!
Wenn ich wandle hier auf Erden
durch das Leben für und für

dann bedaure ich das Leben
denn es fehlt ihm alles hier …
Freiheit!
Wenn ich schau' mit offnen Augen
Jede Schöpfung der Natur,
Seh' ich, daß sie ganz verschieden,
Allen fehlt ja eines nur …
Gleichheit!
Wenn ich sehe wie die Menschen
Auf einander zielen los,
dann ich fühle einen Mangel
hier in diesem Erdenschoß!
Brüderlichkeit!
Ra

Sulina!
Noch plätschert die blaue Donauwelle
Noch wiegt sie und treibt sich lustig umher
Und sieh dort! Dort liegt vor Deinen Augen
Die unendliche Flut! Das Schwarze Meer.
Spurlos verschwindet der Donau Größe
Nichts bleibt von ihrer entzückenden Pracht
Und all das, was uns einst so beglückte,
Taucht unter in ewige, dunkle Nacht.
Armsel’ge Donau! Welch trübes

Schicksal
Ereilt Dich besungen wo Du am Ziel –
Noch wogst Du und drohst Du dem kühnen Schiffer
Und dort? …… Ein wehmutsvolles Trauerspiel.
Ra

Der Liebestod!
Nach Sestos, wo in meerumrauschter
Einsamkeit die Palmen blühen
Und entlang der thrazschen Küste
Goldner Äpfel Reihen ziehen
Aus Abydos, Stadt Osiris‘
zieht das Volk zu hohem Feste
Aphrodite das gegeben
für die hellespontschen Gäste.
Aphrodites Priesterin Hero
da in stiller Lieb entbrannte
zu Leander schönstem Jüngling
der in Gegenlieb entflammte.
Nachts, wo auf dem Hellesponte
Mond und Sterne sind gelegen
Schwamm Leander durch die Fluten

Auf dem Turm dem Licht entgegen.
Da im Turme voller Sehnsucht
Seiner harrte die Geliebte
die in traumversunknen Stunden
oft den Schmachtenden beglückte
doch vom Wintersturm ergriffen
einst Leander war geworden
Und am Fuß des Turmes Hero
tot ihn sah, es graut der Morgen.
Hero schönster Göttin Priestrin
seinen Leichnam als gesehen
stürzte sich zum Liebes..
von des Wegeweisers Höhe.
Pressend es in ihre Arme
sie der Tod mit ihm verbunden
Nachts in hellespontschen Wellen
sie den Liebestod gefunden.
Ra

Odysseus!
Und Ilios fiel!
An der Küste, wo Orpheus,
Proserpinas, mit dem Sange,
Herz erweichte, Odysseus
halten konnte endlich lange.
Zwei und siebzig der Gefährten
Ulixes durch der Kikonen
Rachelust als hat verloren
Auf sich macht in andre Zonen.
Naschend an der lybschen Küste
Von der Blum‘ der Lothophagen
War er von des Euro Mächten
Zu den Kyklopen getragen;
Hier Ulixes von Polyphem
Glücklich nur dadurch entkommen,
daß er ihm sein einzges Auge

Da er schlief berauscht genommen.
Heiß verfolgt ihn drum Polyphem’s
Vater mit den schnellen Rossen
Unversehrt Ai'los‘ Insel
Doch erreicht er mit Genossen. –
Hier Ai'los ihm gegeben
Einen Schlauch in dem die Winde
Eingeschlossen, drum Ulixes
Ziehen konnte ab geschwinde.
Schon glaubt‘, daß er auf Ithakas
Küste werde friedlich wohnen
Kam er durch des Schlauches Öffnen
Zu den rohen Laistrygonen. –
Bloß mit einem einzgen Schiffe
Odysseus weiter schwommen
Auf der Irrfahrt ihn und Mannschaft
Zaub’rin Kirke aufgenommen.
In das Reich des unterirdschen
Zeus, Kirke ihn befohlen
Um sich von Tilphessas Opfer

Eine richtge Fahrt zu holen.
Skylla und Charybdis Ulix‘
Sechs Gefährten mußte geben
Und bei Helios die Mannschaft
Kämpft vor Hunger mit dem Leben.
Trotz der Warnung des Thebaners
Ulixes als süße träumte
Hoch das Blut des Gottes Stiere
spritzend durch den Hunger schäumte.
Zeus drum das einzge Fahrzeug
das geblieben hat vernichtet
Über die Gefährten alle
Auch ein Blitzstrahl hat gerichtet. –
Auf Ogygia alleine
Odysseus kam gekrochen
Wo Kalypso ihm fürs Bleiben
Ewge Jugend hat versprochen. –
Doch der hohen Götter Willen
Ließ ihn nicht bei ihr verweilen
Baut ein Floß sich und von dannen

Mußt der Unglückliche eilen. –
Als Poseidon heftge Stürme
Die das Meer gepeitscht gesendet
Ward von Inos Rettungsschleier
Er gen Scheria gewendet. –
Ihn an Alkinoos vom Ballspiel
Nausikaa die Tochter wandte
Großer König ihn mit Schätzen
Reich beladen heimwärts sandte. –
Nun nach zwanzig langen Jahren
Kommt er auf Ithaka wieder
Und als Bettler durch Athena
Bei Eunus läßt sich nieder. –
Hier mit Telemach‘ dem Sohne
Er des Freiers Mord beschlossen,
Der als er vom Heimatsherde
weit, sein Hab und Gut genossen.
In dem nicht gar leichten Kampfe
Er den Sieg davongetragen
Philoitios der Hirte

Half in diesen schweren Tagen.
Jetzt der musterhaften Treue
Ulix' gibt sich zu erkennen …
Lange noch mit Penelope
Konnt‘ er seine Irrfahrt nennen.
Ra.

12.VI.13.
Donnerstag!
Aus jungen Tagen!
Die Erinnerung ist das einzige Paradies,
aus dem wir nicht vertrieben werden können. –
Von kühnen Zukunftsplänen träumend, sehend die Welt und den Himmel offen liegen; berührt es mich wie ein leiser verträumter Klang, von fern her, von den Gestaden der vermeintlichen Vergangenheit, weit, weit hinter mir, da ich meine schönsten Erinnerungen aus der frühesten Jugendzeit wachrufe, die sich an die Mittelschulzeit größtenteils knüpfen. Die Erinnerung ist noch viel schöner, viel

traulicher als das Konkrete von ehedem gewesen ist, von was eigentlich das Abstrakte – da die Erinnerung – seine Existenz ableitet. Dies unsagbahre [sic] süße Wohlempfinden, das der Erinnerungszauber ausübt, wenn man schon Jahre der Mittelschule entwachsen. Das legt sich auf Sinne und Nerven, das umschmeichelt mit kosender Zärtlichkeit, nimmt so vollständig gefangen, daß ich für nichts fast mehr klare Gedanken habe, daß ich dasitze und mich von diesen traumhaften Empfindungen einlullen und mich zurückführen lasse in die Jahre der großen, sorglosen Glückseligkeit. Wie im Träume zieht

alles an mir vorüber, hundert kleine Einzelheiten und Erlebnisse; wie von linder Berührung wachgerufen, erstehen in mir wieder all die Tollheiten, die Streiche der wilden ungestümen Knaben und Jungen, und immer begleitet mich die kleine, schwächliche Gestalt der Mutter, die liebe, die gute, die mit fürsorglicher Zärtlichkeit mich schützt, mich leitet – und die große, stolze Gestalt des Vaters, der niemals meinem wilden Treiben Einhalt gebietete; ach, es ist doch eine Lust, solch eine Jugend verlebt zu haben! Man hat von frühester Jugend an schon das Kraft-

gefühl: Du wirst ein Mann! Du fühlst die Kraft in dir, den Kampf mit der Welt aufzunehmen. Und das Gefühl macht uns lebensfroh und mutig, so daß man gewappnet in die Welt hinaustritt, daß man keiner Gefahr achtet, nur immer tapfer weitergeht, froh und frei, mit starkem Herzen seinem Ziele entgegen.
19.VI.13.
Dstg.
Volksschule!
Ich kann nicht umhin, ohne nicht an erster Stelle hier all der Tollheiten und Streiche zu gedenken, die ich in der Volksschule begangen. – Volksschule! – Israelitische Volksschule! – Ein

kleines, niedliches, seit Menschengedenken gelb angestrichenes Häuschen, das ein Hauch der Religiosität umweht, zumal es in der unmittelbaren Nähe der Synagoge steht. – Die braunen Türpfosten und die Schulbänke tragen heute noch, nach 16 Jahren die Initialen meiner Wenigkeit: „A.“ „P.“ – Böse Zungen legten das mit „Armer Pollak“ aus, aber bloß dann, wenn das scharfe Messer – ein solches trug ich doch stets mit mir als richtiges Kind Syrmiens – frische Initialen in die Bänke und in die Türpfosten einschnitt, denn dann gab es

Haues und das Refrain [sic] „A.“ „P.“ = Armer Pollak“ sangen stets einige Schulgenossen dazu. – Ich verdiente wohl die Prügel; aber wie hätte ich anders meinen Namen mit der heiligen Kulturstätte damals verknüpfen können? Hatte ich doch nicht einmal die blasse Ahnung, daß mein Name, ohne Schaden anzurichten, sondern durch Bubenstreiche für lange, lange Zeit die Hallen der Kulturstätte durchgehen werde. –
Das erste Debut!
Wie heute auch, so hielt

die Jugend auch damals vollen Schritt mit der Spielsaison. – Zur Zeit, da ich in die erste Klasse kam, war die Hochsaison des Kreiselspiels; – stets unter der Jugend als „Cigra“ besser bekannt. Ich konnte mich nicht hineinfinden volle drei Stunden, so lange der Unterricht meinen unruhigen Geist zu fesseln hätte, ohne das Kreiselspiel zu sein. – Da versteckte ich eines Tages, da ich mich zur Schule zurecht machte die Peitsche in meinen Beinkleidern, den Kreisel in meiner Tasche und ging so zur

Schule. Die lange Schulbänke wieder waren für diese Spielsaison während den Vortragsstunden ein sicheres Versteck. – Der Bankgenosse versprach vollste Verschwiegenheit zu bewahren, wenn ich ihn auch ein wenig mit dem Kreisel nach der Schule spielen werde lassen. Die erste Stunde verging in Aufregung, denn in mir prickelte schon der Kreisel. – Hecuba waren nur die Striche hinauf und hinunter, mit welchen der Herr Lehrer das „i“- und das „u“-Schreiben beizubringen versuchte.

Das „i“ war mir meine Peitsche und das „u“ mein Kreisel und statt des Gedankens wie ich das „i“ und das „u“ dem Herrn Lehrer nachmachen könnte, tauchte plötzlich der Gedanke auf, wie ich doch jetzt schon Kreisel spielen könnte, während dem der Herr Lehrer vorträgt. Da sagte ich meinem geehrten Bank- und Schulgenossen, daß ich hinaus verlangen werde um draußen dann Kreisel zu spielen und nachdem ich zurückkehre, kann er, wenn er die Sache diskret behandelt

Kreisel spielen gehen. – Das gefiel unendlich meinem Bankgenossen. – Ehe ich noch mit dem Zeige- und Mittelfinger zu zappeln begann, nahm ich die Spielsachen zu mir, denn ich war der festen Überzeugung, daß ich die Bewilligung hinausgehen zu können, erhalten werde. – War doch mein Vater der Tempelvorstand und mußte sich doch der Herr Lehrer mit ihm, ja aber auch mit mir gut verhalten!!! –
Der Zeige- und Mittelfinger beginnt zu zappeln ------. –
Der Herr Lehrer sieht das aber nicht. –

Sie zappeln aber weiter und ----- der Herr Lehrer ließ sie zappeln. Die Ungeduld wächst immer mehr und mehr und noch immer schaute der Herr Lehrer nicht auf mich. – Da ließ ich die Schultasche zum Boden fallen, was des Herrn Lehrers Augenmerk also doch in meine Richtung lenkte und da sah er mich endlich mit zappelnden Fingern.
„Was willst Du?“ – „Bittschen Herr Lehrer hinaus; ich bin jetzt sehr erschrocken als die Schultasche auf den Boden fiel.“ – „Geh' nur, geh' und trinke

ein wenig Wasser.“ – Ich soll Wasser trinken gehen und er brachte mir doch selbst schon mit seiner Erlaubnis Wasser, --- aber auf meine Mühle. – Vor Freude strahlten meine Augen, aber auch die meines Bankgenossen, war er ja doch auch sicher Erlaubnis hinausgehen zu können zu erhalten, zumal sein Vater mehr als der meinige in der Gemeinde gewesen; – er war Gemeindevorstand.
Ich wäre am liebsten hinausgelaufen, aber

das ging nicht; aus dem einfachen Grunde, weil ich den Peitschenstock, der in den Beinkleidern versteckt gewesen, mit in der Tasche untergebrachten Hand halten mußte. –
22.VI. Snntg.
Hätte ich große Schritte ausgeholt, da wäre noch zum Unglück der Stock gebrochen. – Darum musste ich mich sozusagen hinausschleichen. Ehe noch die Tür hinter mir geschlossen war, hörte ich den Lehrer sagen: „Der Bube ist aber erschrocken.“ Aufgrund dieser Äußerung nahm ich mir vor länger draußen zu bleiben. Was ich mir vorgenommen, habe ich auch ausgeführt. Noch nie hatte ich meinen Kreisel mit solcher Wonne

gepeitscht als damals. Und in dieser Wonne schwelgend überschritt ich sogar die Zeit welche draußen zu bleiben ich mir vorgenommen. Das ärgerte derartig meinen Bankgenossen, zumal er dadurch verkürzt wurde, daß er dem Lehrer, der schon auch ungeduldig geworden, sagte, was ich draußen tue. – Ich würde vielleicht meinen Kreisel bis zum Schluße des Vormittagsunterrichtes gepeitscht haben, wenn mich nicht frisch persönlich der Herr Lehrer bei den Ohren in die Klasse hinein geführt hätte. –
Zum erste Male erkannte ich den Zweck und die Wirkung des in der Schule sich befindenden

spanischen Rohres. – Die Schande vor den Schulgenossen – als erster und noch dazu als Sohn des Tempelvorstandes geprügelt worden zu sein, das spanische Rohr – die Ouvertüre: Ohrenziehen, – die Furcht vor einer schlechten Note – all das hätte ich verschmerzen können, wenn mir nur nicht der Herr Lehrer den Kreisel und die Peitsche weggenommen hätte. –
Einige Tage darauf sah ich meinen Kreisel und meine Peitsche im Besitze des Herrn Lehrers Enkel – ebenfalls ein Schulgenosse. – Ich verlangte mein Eigentum äußerst

höflich zurück, doch als ich es so nicht erhielt, kam ich in die Fußlappen seines Großvaters, des Herrn Lehrers, und so kam ich wieder zu meinem Kreisel. Rasch eilte ich damit nach Hause, bewahrte ihn gut auf und habe ihn nimmermehr in die Schule mitgenommen. – Des Lehrers Enkel erzählte wohl von der Rückeroberung des Kreisels, doch unter solchen Umständen wie diese geschah, musste sie auch der Herr Lehrer gutheißen. – aber nur vor Angst, dass ich dem Vater aus der Schule plappern werde; –

war doch mein Vater Tempelvorstand und ich ----- sein Sohn. –
Am meisten – da ich den Kreisel aber schon hatte, ärgerte mich das Verräterische des Bankgenossen. – Ich wollte ihn auch deshalb durchprügeln, aber ich überlegte es mir …
war doch sein Vater Gemeindevorstad und er ----- sein Sohn.

24.VI.13.
Dienstag!
Die Grillen!
Ich galt als der Stärkste unter den Schülern. – Keiner von den Mitschülern wagte, mit mit mir einen Ringkampf aufzunehmen. – Ich hatte aber auch Kraft! Der Turnplatz des Militärs, der sich an der Peripherie des Stadtparks befand, war vor dem Schulgang meine Quelle, aus der ich Kraft schöpfte. Die Kraft wurde noch dadurch gestählt, da ich oftmals mit dem daselbst wachhabenden Soldaten zu tun hatte, nämlich ich mußte durchgehen. – Das hieß so viel, daß ich von den höchsten Turngeräten oft hinunterspringen mußte um noch rechtzeitig den

Prügeln zu entkommen. – Das stählte aber die kleinen Beine!! Doch es gab auch andere Quellen, aus denen ich physische Kraft schöpfte. An psychische dachte ich damals noch nicht. – Aber heute glaube ich, daß ich mir schon damals des lateinischen Spruchs: „Mens sana in corpore sano“ bewußt war.
Da gab es nämlich einen Zwetschgenbaum hinter der Kaserne; der Zutritt zu dem war nur so möglich, daß man die Mauer erklettert, die ziemlich hoch gebaut war. An dieser Mauer, der Zwetschgen ganz natürlich zuliebe, stählte ich meine Armmuskeln; die Zwetschgen

erreichend, stählte ich meine Kiefermuskeln. – Waren es ja doch harte, grüne Zwetschgen! Aber auch die Beinmuskeln erhielten Zuwachs, wenn es abermals hieß zu entwischen. – Als weitere Kraftquelle galten mir die Maulbeerenbäume: Keiner war mir zu hoch. – Die zu erklettern war zugleich stets eine Probe für das Erklettern des Maibaumes, der am Geburtstage unseres geliebten Kaisers im Park aufgestellt wurde und an dem manch hübsches Zeug hing. Den konnte ich aber nie erklettern, denn er war mit Seife und Salben geschmiert und ich war

damals noch nicht so wie die anderen, die ihn erkletterten mit Salben geschmiert, nämlich mit Kolophonium. – Aber bis zur Hälfte des Maibaums und noch weiter kam ich schon – und das, gab doch auch Kraft! Ferner stärkte das Klitschen im Winter ja auch die Beinmuskeln; ich erwähne es aber hier mehr darum, um den Mannen der vielen dabei verunglückten Schuhe ehrerbietigst eine Locke zu weihen um auch gleichzeitig des selig entschlafenen Herren „Prügel“ zu gedenken, der oftmals aus dem Grabe stieg und den verunglückten Schuhen

beistand. – Auch lange Märsche machte ich mit. – Wohl nicht sehr viele, denn die Militärmusik war bei uns ein seltener Gast. – So oft sie aber da war und an einer großen Übung teilnahm, lief ich mit. – Wenn ich dann da verspäten nach Hause kam – und ich kam es auch, denn ich musste bis zum Schluße der Übung bleiben um mit der Musik den Heimgang antreten zu können – da lief ich aber nicht mehr mit, sondern davon, denn Herr Prügel stieg aus dem Grabe um mich nach meinem Fernbleiben zu befragen. – Mit

Toten wollte ich nicht sprechen, deshalb lief ich davon. – Das gaben [sic] aber Beinmuskeln!!! Viel, viel giebt [sic] es wohl noch was zu meiner Kräftigung beitrug. – Es fällt mir aber nicht alles ein; es genügt ja aber schon das hier Angeführte um zu ersehen, daß ich ein kräftiger Kerl, dem die Waghalsigkeit beistand, gewesen [bin]! Eben meine Kraft war Schuld daran, daß ich abermals mit dem Herrn Lehrer in Konflikt geriet. Die Schulgenossen nämlich frozelten mich, daß ich trotz meine Kraft den Geisterboden

dennoch fürchtete. – Ich soll ja von den Grillen sprechen! – Verzeiht, ich muß mich aber vorher beim Geisterboden aufhalten. – Geisterboden!! Ein schreckliches Wort! Kalt überlief es mich, da ich den Entschluss fasste, so etwas anzurichten um zur Strafe auf den Geisterboden zu wandern. – Doch der Gedanke, daß ich mich dort auf dem Geisterboden brav aufführen werde tröstete mich ein wenig. – Hörte ich doch oft die Älteren sprechen, daß wenn man mit Geistern höflich umgeht, sie einem nichts antun. Zurück also zum Geisterboden!

Das ist der Boden der Synagoge. – Dort halten sich die Geister auf!! ?? !! So ging die Fama durch die Schule damals und vielleicht heute noch. – Und dahin soll ich gerade wandern!! Ich hatte wohl Angst; doch, gehe ich nicht dahin ist mein Stärkerenommée gefährdet. Eine schwere Wahl hatte ich jetzt. – Entweder das Renommée einbüßen oder auf den Geisterboden wandern. – Büße ich das Renommée ein, so bin ich das Spottkind der Schule und „Simson“ – so wurde ich genannt – soll sein Renommée einbüßen? Nein, das ging nicht. – Dieser Entschluß

war also reif in mir. Doch was jetzt anstellen um auf den gefürchteten Geisterboden zu gelangen? Um zu dieser Ehre zu gelangen, mußte man schon Tüchtiges leisten. – Sei nicht ungeduldig lieber, allerliebster Leser(in), ich komme schon zu den Grillen. Du denkst etwa, daß ich Grillen habe, indem ich dich solange um den Kirchturm führe. Nein, nein ich habe sie noch nicht – ich muss sie erst einfangen. –
Um Grillen einzufangen lief ich von der Nachmittagsschule auf dem von der lieben Eltern Wohnung unweit gelegenen

Kalvarienberg. Ein kleines, dünnes Stöckchen nur steckte ich in das Wohnhaus der Grille und gleich erschienen sie; ich fing sie ein und bewahrte sie in einer kleinen Zigarettenschachtel auf. – Nachdem ich einen recht tüchtigen Sängerchor bestehend aus Grillen eingefangen, lief ich nach Hause, nahm die Bücher und ging so mit Freude und Angst in die Schule. – Freude wohl, ob dem zu gelingenden Bubenstreiche – Angst ob dem mit schrecklichsten Sagen umsponnenen Geisterboden. – Ehe der Lehrer eintrat, hielt

mein Grillenchor Generalprobe. Das ging ja alles wie auf dem Schnüre! Die zwei Ältesten sangen Bass II.; die drei Mittleren Bass I.; die 4 Jüngeren Tenor II.; und die fünf Jüngsten Tenor I. – Ein Federstiel war mein Dirigentenstab. Das klappte alles, wie bei einer Premiere! – Diese herrlichen Staccatis, das warme Piano, das wehmütige Pianissimo, dann wieder, die in Fortissimo gehaltenen Triller – die eigentliche Spezialität der Sanger – die ein echter Tiroler Jodel nicht besser zu singen vermag, ja, das alles mußte die

Angst vor dem Geisterboden in den Hintergrund stellen. – Ich dachte sogar daran, wie ich mit meinem noch nie dagewesenen, gut geschulten aus besten Kräften bestehenden Quartett ein Konzert geben werde, zudem ich meine Schulgenossen einzuladen gedachte. – Ja, sogar bei freiem Eintritt diesmal und nicht bei Entrée, wie es gewöhnlich bei meinen Circusvorstellungen gewesen. - - - - -
Die Generalprobe war zu Ende! Der Herr Lehrer trat ein! Der Vorhang soll also meinerseits gehoben werden – das Spiel

kann mit dem Beginn des Unterrichtes beginnen! Wie gewöhnlich im Leben, hatten nicht die Sänger, sondern der Dirigent Trema. Aber bald faßte sich der Herr Dirigent – munterte die Sänger auf und – – noch schöner und heller als bei der Generalprobe klang der Sang. – Waren doch infolge Anwesenheit des Herrn Lehrers die Schulgenossen ruhig, wodurch der Sang zur vollsten Geltung kommen konnte. – Die Sänger dabei noch in Stimmung, zumal das Haus ausverkauft gewesen. –
Der Herr Lehrer horcht auf!

„Wer singt das in der Schule?“ –
„Bittschen Herr Lehrer nein, draußen singt jemand“. –
„Aber was draußen“?
Er spannt die Ohren besser!
„Das sind ja Grillen“!
Er geht den Banken entlang – die Grillen singend; ich zitterte vor Angst – den Dirigentenstock legte ich zur Seite schon, doch meine Sänger sangen ohne dirigiert zu werden, weiter. – Da blieb der Herr Lehrer bei meiner Bank stehen. Er schaute unter die

Bank und fand da auch die tüchtigen in der Schachtel eingeschlossenen Sänger. – – –
„Also du hast Grillen?“ „Bittschen Herr Lehrer ich habe keine Grillen!“ –
„Du traust dich noch zu lügen?“ –
„Bittschen ich hab keine Grillen. – Mein Vater sagt, daß ich Grillen habe, wenn ich schlimm bin und jetzt habe ich ja nicht getan.“
„Du Schurke!“
Nach kurzem Besinnen: „Hinauf auf den Geisterboden; ich werde dir dort geben! Grillen in die Schule mit

bringen?!“
So alles einz war mir das jetzt doch nicht auf dem Geisterboden zu wandern-------
aber mein Renomée und um das handelte es sich ja, um [sic] drehte sich ja das ganze Konzert! Betrübten Herzens ließ ich den Sängerchor zurück und wanderte als Delinquent mit dem Herrn Lehrer. Er öffnete, nachdem wir einige Stiegen hinaufstiegen, die mir als der Weg zum Schafott schienen, – öffnete der Herr Lehrer die Tür – es schien mir als öffne sich der Hölle Rachen –

stieß mich hinein und sperrte die Tür ab. Ich blieb wie versteinert fast bei der Türe stehen; – war ich doch am Boden wo die Geister hausen! – Vor mir eine egyptische Finsternis und hier und dort guckt bloß ein Sonnenstrahl gespenstartig durch die verwitterten Dachziegel hinein. – Schwarze Gestalten bewegen sich und auf dem Boden sieht man wieder weiß-schwarze Gestalten liegen. – Ich glaubte in ihnen die bösen gehetzten Geister zu sehen! Auf dem

Dache singen die Drähte und es däuchte mir als wäre das ein Klagelaut der büßenden Geister…
„Die Drähte singen hoch am Mast, ein starkes Klingen meilenweit, verwundert lauschen Baum und Feld dem Harfenspiel der neuen Zeit. – Kein Windhauch rührt die Saiten an, wer weckt im toten Mund den Ton? Ists ein verhohlner Klagelaut der Urkraft, die verdammt zum Tron [sic] ?".

Kein Wort kam aus meinem Munde um ja nicht die Geister zu beleidigen. – 3.VII.13. Dstg.
Nachdem ich mich ein bischen aufgerafft, ging ich einige Schritte nach vorwärts, stets mich vor den Geistern verbeugend. – „Was wurde aus dir Simson“ dachte ich in mir. – Während dem ich vorwärts ging, stieß ich in der Dunkelheit auf etwas Weiches zu gleicher Zeit mit Fuß und Antlitz. Da dachte ich, daß mein Ende sei, zumal ich auf einen Geist getreten. – Ich blieb aber trotzdem am Leben. – Da riß ich einige Dachziegel auf und und [sic] freundlicher Sonnenstrahl beleuchtete meine Umgebung, die aus nichts anderem als aus alten Gebetbüchern,

und Adjnotierungen der einstigen Tempelchorknaben bestand. – Das waren die Geister! –
Hellauf lachte ich auf, zog mir ein Chorbubenkleid an und begann fromme aber auch Gassenlieder zu singen. – In solcher Stimmung verbrachte ich eine ganze Stunde fast auf dem mir so traulich gewordenen Geisterboden. Der Herr Lehrer kam mich abholen und sah mich zur größten Überraschung in der Uniform eines Chorknaben. – Und gerade von diesen alten, schwarzen, herumhengenden Uniformen hielt er sicher, daß sie mir Todesangst und Respekt einflößen werden. Ich legte das Kleid ab und verließ mit dem Herrn Lehrer diese so liebliche Stätte, die man

heute noch Geisterboden nennt. – Lächelnd trat ich in der Schule ein – die Schulgenossen wollten sich’s kaum glauben, daß ich noch lebe. –
So behielt ich mein Renomée und galt jetzt nicht mehr als „Simson“, sondern noch mehr – als „Bar-Kochba“. – Ich erzählte ihnen nachher von dem so heimlichen Geisterboden, der bald darauf unsere Besuche erhielt. – Das waren aber doch keine „Bar-Kochba“, denn ich war der erste, der dort zur Strafe untergebracht wurde. – Der Herr Lehrer versprach mir aber, daß ich nächstens, sollte ich Ähnliches anstellen in die Totenkammer wandern werde. Von dem aber ein

anderes Mal. –––
Und was geschah mit meinen Sängern? Der Herr Lehrer setzte sie ganz einfach ins Freie und möglich singen deren Nachkommen noch heute manch Jugendliedchen um das Haus des Herrn Lehrers, da ich die Vorfahren aus dem sanften Schlafe wecke. –
Das sind des Herrn Lehrers Grillen und meine Grille war der Geisterboden. –

Das erste Triumvirat!
24.VII.13
Der vielbegehrten, von England jedoch am heißesten begehrten, afrikanischen, im Besitze der Buren sich befindenden, Goldfeldern, kam es zum Kriege zwischen den Buren und Engländern.
Ein Jugendspiel – Pisar wörtlich übersetzt: – Der Schreiber – genannt, war die unmittelbare Folge dieses Krieges. – Infolge dieses Spieles kam es zwischen der Schuljugend zu einem Nationalitätenstreit, aus welchem wieder das erste Triumvirat hervorging. Dieses wieder führte zu tüchtigen Vermoppelungen

und Niederlagen, die uns dann mit Karzer bescherten. Das ist wohl leicht hier so flüchtig aufzuzählen, die Ursachen und Folgen anzuführen, doch wie geschah das alles, wie kam es, daß der Krieg, der zwischen den Buren und Engländern wütete, die Ursache zu solch großem Verhängnisse gewesen?? Ich will es hier nun ganz deutlich, wohl nicht per longum et latum klarlegen. –
Die heißumstrittenen afrikanischen Goldfelder werden mit Menschenblut getränkt, die Kriegsfurie hält

grausames Gericht, Brüder von ehedem stehen sich feindlich gegenüber, alles um des lieben Goldes willen, und Mars führt das Glück bald rechts, bald links, bis er es nicht endgültig auf Seiten der Engländer zurückläßt. Dort war der Krieg bereits zu Ende und die Schuljugend setzte diesem Kriege in dem Spiele „Pisar“ ein fast ewiges Denkmal. – Worin besteht eigentlich dies erwähnte Spiel? –
In der Erde wird eine kleine Höhlung ausgegraben. – Ist ein Messer bei der Hand oder ein spitziges Stöckchen so geschieht es mit

diesen Werkzeugen; ist keines von diesen Werkzeugen vorhanden, so leisten die Finger und Nägel die gleichen Dienste. Zu Letzterem mußte man selten greifen, denn welch Sremer Kind trug nicht ein Messer bei sich? War das Löchhen [sic] fertig, kam der Gummiballen hinein – einen solchen trug fast jeder bei sich. – Am Samstag jedoch, wo man ein anderes – das Festkleid – erhielt, trug man den Ballen nicht bei sich. Spielen wollte man doch oftmals auch am Samstag. Da halfen die Taschentücher, die mit einer Fensterschnur gewöhnlich, welche vom erstbesten Fenster

abgeschnitten wurde, zusammengebunden wurden, eventuell noch naß gemacht, um auch die Härte des unendlich harten Gummiballens zu ersehen. Nun die Hauptperson: der „Pisar“! Dieser wurde gewöhnlich von den Schülern gewählt; der erste „Pisar“ war stets schwächste stärkste, aus Gründen, die man aus meinen späteren Ausführungen herausbekommt. – Dieser „Pisar“ trug alles auf einem Papier ein, aber nicht beim Namen, sondern nach der Nationalität, welcher er ad hoc angehörte. War zufällig kein Papier zur Hand, so

wurde auf den Mauern Register geführt. – Der stärkste im Spiele war allerdings stets der „Engländer“ – der zweitstärkste unbedingt der „Bur“. Dann kamen: Magyar, Deutscher, Russe, Österreicher, ja auch Liliput und „Moischi“. – Diese „Nationalitäten“ hatten sich rings um den Ballen aufzustellen. – Der „Pisar“ stand in einer kleinen Entfernung. Rief er eine „Nationalität“ auf, so musste diese den Ballen ergreifen, und den davonrennenden anderen „Nationalitäten“ nachwerfen. – Traf er jemanden, so bekam der Getroffene einen

Punkt vom „Pisar“. – Traf er nicht, so bekam der Nichttreffende einen Punkt. – Wer sechs solche Punkte erhielt dem meldete der „Pisar“, daß er „im Feuer sei“. – Hatte einer schon 10 Punkte, so wurde er aus dem Spiele als „kampfunfähig“ bis zur nächsten Runde ausgeschallten [sic]. – Wer zum Schluße die wenigste Anzahl der Punkte besaß, der war der „Pisar“ in der nächstfolgenden Spielrunde. – Es handelte sich also hier, je tüchtiger zu zielen und je mehr „Kampfunfähige“ zu machen. – Ich war

da ein gefürchteter Kerl. Viele gerieten durch mich „ins Feuer“; denn nicht nur, daß der Pisar das Insfeuergeraten bekannt gegeben, sein Rücken hat ihm auch das Gleiche schon vorher gemeldet. – Ich war doch der Engländer und schon damals verlegte ich mich aber nicht nur auf den Buren sondern auch auf den Russen, dem oft der Rücken brannte. – Sie atmeten alle leichter auf, da sie sahen, daß ich in Folge der am wenigsten besitzenden Punkte der künftige Pisar sein werde, und daß es dann

nur einfach Brände geben wird, von denen der Pisar und nicht der Rücken weiß. – Das war also ein förmlicher Kampf zwischen „Nationalität“ und „Nationalität“ alles durch den „Buren Engländer“ Krieg hervorgerufen und dieser Kampf dauerte auch dann noch an, wenn wir nicht mehr zum Spiele bereit den Ballen umstanden. –
Wo immer sich nur die Schuljugend befand, gab es Reibereien zwischen den Nationalitäten und jeder verteidigte wohl seine „Nationalität“. Eines Tages taten sich alle Nationalitäten zusammen um gegen

mich und noch zwei andere mir Ebenbürtigen und gefährlichen loszugehen. Ich kam rasch auf die Spur dieser Verschwörung. – Ich berief meine zwei Helfer, erklärte ihnen die Gefährlichkeit der Situationen und wies auf die Gefahren hin die uns einzeln drohen, zumal sich alle solidarisch gegen uns richten. – Da blieb nun nichts anderes übrig, als mit den Zweien zu paktieren. So kam es zum „ersten Triumvirat“. – Caesar, Crasso und Pompeius haben ein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen und somit trat nun die Möglichkeit ein daß wir den numerisch

überlegenen Feind wenigstens in Schach halten werden können, wenn schon nicht besiegen. Noch heute, indem ich diese Zeilen niederschreibe, schwebt mir vor Augen das selbstbewußte Erscheinen und Auftreten des Triumvirats. – Ehe es noch geschah, sah man uns aus den Augen die Freude ob dem künftigen Siegeszuge leuchten. – Wer bildete nun das Triumvirat? Meine Wenigkeit wie anno dazumal, Feri Garach und Emil Leon. Drei Männereinmesser! Es wäre nicht schwer herauszufinden wer von uns dreien Caesar

oder Pompeius gewesen. Kraft hatten wir; und Ruhm; ach, wir waren ja berühmt! Kraft hatten wir, und Ruhm, ach, wir waren ja berühmt. – Aber der Crasso, der eigentliche Geldman [sic] fehlte zwischen uns. – Die gemeinschaftlichen Wocheneinnahmen von insgesamt 20-30 Kreuzer bildeten die gemeinschaftliche Kriegskassa, den eigentlichen Crasso. Geld brauchten wir bloß deshalb um die Kriegserfolge würdig, beim Konditor, mit 1 oder 2 Krempitten zu feiern. – Zum eigentlichen Kriegführen brauchten wir kein Geld. Gewehrkolben, mit denen größtenteils Krieg geführt wurde,

gab es in Hülle und Fülle in unserem Munitionslager, im Stadtpark. – Geschossen wurde prinzipiell nicht, zumal das nicht dem modernen Kriegführen entsprach. – Bajonette hatten wir auch genügend am Lager, zumal wir die spitzigen Holznadeln aus unserem Park – frei – Munitionslager zu Hause schon aufbewahrten, mit Ausnahme derjenigen, welche schon am Gewehre angebracht waren. – In 2 Tagen war unser Heer mobil gemacht; wir blieben in der Defensive und warteten alltäglich auf den Angriff. – Wir waren im Park, hinter der

„Kula“ verschanzt und der Feind lag uns gegenüber in seiner ganzen Übermacht. Etwa 20 gegen uns drei! Einige Tage vergingen und kein Angriff will erfolgen. Wir warteten bis abends, doch nichts rührt sich. – Da zog Feind und Freund ab, beide ließen die Positionen auf um sich nicht infolge späten Eintreffens zu Hause schon geschlagen zu geben. Am nächsten Tag, wurden die alten Positionen aber wieder bezogen. Diesen Sollstand nutzten wir allerdings aus, indem wir auf die „Kula“ Sandbomben hinauftrugen, welche

eine derartige Wirkung hatten, daß nicht die Bombe selbst platzte, sondern die Stelle wohin sie fiel; besonders günstige Wirkung hatte diese Bombe, wenn sie auf den Kopf fiel. Diese Bomben stammten von Firma: Stadtpark Kieselstein. –
Die Vorbereitungen waren nun zu Ende. – Der Feind ruht noch immer. Der Plan war strategisch glänzend. – Wir hatten einen gutbegabten Spion und da erfuhren wir, daß die Hauptmacht, bestehend aus 10 Mann dazu bestimmt uns von der Rückenseite anzugreifen und die Süd- und Ostarmee

bestehend aus je 5 Mann wird die Flankenangriffe, attackenartig besorgen. – Das zu wissen war ja eine kolossale Erleichterung für uns. Nach 10 Tagen unnützen Biwakierens, erfuhren wir endlich, daß trotz Ruhetages am nächsten Samstag die „Kula“ im Sturme genommen werden soll. – Der Samstag war deshalb erwählt, weil der Feind wußte, daß das Triumvirat sehr eitel ist und daher auf das Festkleid, das es Samstag anlegt, sehr achtgeben wird müssen und aus Furcht, daß dem Festkleide was passieren könnte,

nicht so waghalsig und kühn vorgehen werde. – Der Feind täuschte sich aber gewaltig. – Wissend, daß der Generalansturm Samstag erfolgt, blieben wir in unserem Alltagsgewande. – Wer wird denn in Kriegszeiten auf Putz noch etwas geben? Dem Feinde war das nicht so ganz recht uns im Alltagsgewande zu sehen. – Doch er konnte nicht anders; für heute – Samstag – ist der Generalansturm bestimmt. Von weitem sahen wir, daß der Anführer – Herr Richard Weiss – zu einer Besprechung die Soldaten verbandelte, daß er stets mit der Hand etwas auf uns zu zeigen hatte und

die Soldaten dann in 3 Teilen nach verschiedenen Richtungen einige Schritte vormarschieren ließ. – Da wußten wir schon, daß der ernste Moment gekommen sein musste. – 31.VII.13. --
Rasch hatten wir auf unserem Bollwerke, das nach den Gesetzen der modernsten Festungsbaukunst ausgestattet war, Aufstellung genommen. – Ich stand bewaffnet und überbewaffnet auf der Ostseite, von woher die größte Gefahr drohte, zumal gegen den Ostsector die Hauptarmee vorrückte. Von der Süd- und Nordseite rückten kleinere Abteilungen vor, um den Rückzug abzusperren. – Bloß die

Westseite blieb unbewacht, zumal doch da die Nadelbäume ein natürliches Hindernis schon an und für sich für eine eventuelle Flucht aus der Festung bildeten. Die Hauptarmee versuchte sich zuerst tüchtig zu verschanzen und dann erst das Bombardement aufzunehmen. – Kanonen hatte der Feind vom gleichen Kaliber wie die unsrigen; alles von der Firma Stadtpark Kieselstein bezogen. – Unsere Verschanzungen waren schon einige Tage vor dem Generalansturm fertig. – Die Bänke die sich auf der Kula befanden waren schon ohnehin

ein gewaltiges Hindernis, doch die Glassplitter die rings auf den Festungsmauern angebracht wurden, waren für den Feind noch gefährlicher. – Alles in allem genommen, wir waren, zumal wir noch in der Defensive waren, im Vorteil.
Das Zirpen der Grillen störte bis nun die Nachmittagsruhe des in üppigem Grün aufgefunden Parkes. Ab und zu war lustiger Vogelsang zu vernehmen, der uns diesmal wie Kriegsfanfaren schien. Doch inmitten dieser Ruhe hörte ich plötzlich ein Rauschen im an

der Ostseite sich befindenden Gebüsche. –
Der Feind rückte bis an die Festungsmauer vor und versuchte nun dieselbe zu erklettern. Zur selben Zeit griffen auch die anderen 2 Flügel die Festung von verschiedenen Seiten an. – Während dem diese 2 Flügel mit Bomben und Kanonen empfangen wurden, welches der Feind jedoch mit Gleichem beantwortete, ohne dabei zu treffen, zumal die bei den Kanonen Stehenden in den erwähnten Bänken einen trefflichen Panzer fanden –

schickte ich mich nun langsam an die sich entwickelnde Pyramide, aus aufeinandersteigenden Soldaten bestehend, zum Falle zu bringen. – Nachdem ich einige tüchtige Stiche mit meinem Bajonette austeilte ohne das [sic] dabei Blut geflossen wäre – führten wir doch einen modernen, menschlichen Krieg – begann die Pyramide ein wenig kleiner zu werden, zumal die obenstehenden ganz einfach absprangen. Lag doch vor mir die Hauptmacht, war ich auch gefaßt, daß die

[die] Abspringen rasch durch neue Kräfte ersetzt werden könnten, somit verließ ich nicht meine Position um den anderen, die sich in bedrängter Lage befanden, zu Hilfe zu eilen. – Diesmal ließ ich die Pyramide hoch aufbauen. – Als sich der letzte Mann der Pyramide bereit sah Handgranaten in die Festung zu werfen, sprang ich hervor, packte ihn mit eisernem Arme bei der Hand und zog ihn so in die Festung hinein – entwaffnete und band ihn an Füßen und Händen, erklärend ihn als

Kriegsgefangenen. – Infolge dessen war es um die Moral der Hauptarmee getan. Nachdem auch die 2 Flügel sich zurückziehen mußten, nachdem sie den ganzen Vorrat an Munition durch lauter tote Treffer aufgebraucht, kamen die anderen 2 mir zu Hilfe und die Hauptarmee erlitt eine schwere Niederlage. Der Rest der Hauptarmee ergriff panikartige Flucht auf welcher er von unseren wohltreffenden Schrapnellen begleitet obendrein wurde. Die schon geflohenen zwei Flügel warteten

auf die Reste der Hauptarmee, mit welcher sie sich zu einer Streitkraft vereinten. – Nach kurzer Pause kam von den vereinten Kräften ein Angriff; diesmal bloß von der Nordseite, welcher aber zurückgeschlagen wurde. – Wir verließen trotzdem nicht unsere Positionen, da sich der Feind noch immer nicht gänzlich zurückzog. Wir taten es auch gut, denn in wenigen Minuten wurde der Angriff erneuert. – Da uns nun auch der Vorrat an Munition ausging, kam es zu einem fürchterlichen Bajonettkampf, welcher

mit der feindichen Niederlage endete. Die Ursache, daß der in Übermacht sich befindende Feind im Bajonettkampfe unterlag ist darin zu finden, daß unsere Bajonette von der Firma: Hartholz, des Feindes Bajonette von der Firma: Weichholz bezogen wurden. – Sei der Niederlage wo immer schon die Ursache zu suchen, der Feind erlitt sie und nun bat er um Waffenstillstand auch zum Zwecke der Friedensverhandlungen. – Nachdem wir doch auch genügend

erschöpft waren, willigten wir in den Waffenstillstand ein. – Der eine Gefangene wurde sofort freigelassen – was sonst nicht in modernen Kriegen vorkommt – indem er das Ehrenwort verpfändete an eventuellen Kämpfen nicht mehr teilzunehmen. Nach kurzen Verhandlungen kam ein 10 tägiger Waffenstillstand zustande; während dieser Zeit muß der Friede unterzeichnet werden, widrigenfalls, falls keine Einigung erzielt wird, ist der Kriegszustand mit 24 ev. 48 stündiger Kündigungsfrist wieder

eingetreten. – Die Friedensverhandlungen haben nun auf dem Schlachtfelde begonnen. – Nachdem im Kriege doch das Militär der Hauptfaktor ist, wurde auch das selbe zu den Verhandlungen herangezogen. Dort, wo die Hauptarmee die erste Niederlage erlitt, also vor den Mauern des Ostsectors war der Verhandlungsort. Wir stellten die Friedensbedingungen auf, die der Geschlagene anzunehmen hatte ohne jeden Widerspruch und Abänderung, oder sie nicht anzunehmen und den Krieg fortzusetzen. Die Bedingungen seien

hier angeführt:
1. Zur Beilegung des Konfliktes, darf die Großmacht „Königreich Lehrer“ – nicht herangezogen noch vom Konflikt in Kenntnis gesetzt werden.
2. Jede Intervention anderer Mächte, besonders der „Kaiserreiche Eltern“ wird abgelehnt. –
3. Das Territorium: Tempelhof, Judengasse bildet das ausschließliche Eigentum des Triumvirats. – Der Besiegte kann jedoch einige Privilegien auf diesem erhalten.
4. Sofortige Demobilisierung beider Armeen nach Unterzeichnung der Friedenspräliminarien.
5. Der Besiegte erhält

die westlich liegende Gasse der Kaserne, während dem der Sieger die östlich liegende für sich behält. –
6. In den neuen Gebieten dürfen erst nach 14 Tagen Rekruten ausgehoben werden. Die Armee hat aber auf dem Friedensstand zu bleiben. –
7. Der Besiegte hat den Siegern die Priorität auf der Halbinsel „Volksschule“ zu anerkennen.
8. Der Sieger erhält eine Kriegsentschädigung in der Höhe, welche die nachträglich festzusetzende Finanzkommission bestimmen wird und deren Beschlüssen der Feind

sich zu fügen hat.
9. Bei Nichteinhaltung des Vertrages ist der dabei Verletzte berechtigt sofort diesen Umstand als casus belli zu betrachten und ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten zu eröffnen. -
10. Dieser Vertrag tritt in Kraft sofort am Tage der Unterzeichnung.
Kommentar!
Ad 1. Wer die Großmacht „Königreich Lehrer“ von der Beilegung des Konfliktes in welcher Art und Weise immer verständigt, ist als Vaterlandsverräter zu betrachten. – Als

solcher wird er gepeitscht und über die Grenze, d. h. über den Tempelhof und über die Judengasse hinaus, abgeschoben. –
Ad 2. Sollte sich eines der „Kaiserreiche Eltern“ ins Mittel legen, so ist der ganze Vorfall ganz einfach abzuleugnen. Der Dawiderhandelnde ist als infam zu betrachten und aus dem Heere auszustoßen.
Ad 3. Der Besiegte kann im Tempelhof spielen wie auch in der Judengasse, jedoch muss er dann Steuer bezahlen. – Vom Klickerspiel 10 Klicker per Woche. – Vom Nüssespiel 2 Nüsse pro Tag. – Vom Knöpfespiel: 2 Stahlknöpfe

pro Tag, oder 4 Beinknöpfe pro Woche, oder aber 8 Perlmutterknöpfe per Monat. Für jedes andere Spiel hat der Besiegte eine Schreibfeder oder einen kleinen Bleistift, Löschpapier, Schulheft oder dgl. abzutragen. Am Samstag fallen alle diese Steuern weg und dieser Tag wird auch nicht als Zahltag eingerechnet.
Ad 4. Die Demobilisierung besteht darin, daß die Gewehre, Bajonette u. dgl. vernichtet werden müssen, die Kanonen unbrauchbar gemacht. All dies hat auf der großen Stadtwiese zusammengetragen

zu werden und dem Frieden vorauszugehen.
Ad 5. In der westlich liegenden Straße der Kaserne hat der Besiegte vollkommene Bewegungsfreiheit. – Sollte er jedoch nach der östlich liegenden Straße kommen um sich zu verproviantieren, so hat er die Hälfte vom Proviant abzuliefern. Der Proviant besteht aus Kommißbrot und Zwetschken [sic]. – Außerhalb des stricten Begriffes „Proviant“ steht der Zwieback, von welchem nur ein Dritteil abzugeben ist. – Die Zwetschken dürfen nur in halbreifem Zustande

gestohlen, d. h. als herrenloser Besitz gepflückt werden.
Ad 6. Zwangsweise Aushebung ist nicht gestattet. Es steht jedem frei die Armeen zu wählen, auch wenn er sich auf dem Territorium des eigentlichen berechtigten Herrn befindet. – Soldaten von unseren Gebieten können frei zur anderen Armee übertreten und umgekehrt, ohne daß das als Desertation betrachtet wird. –
Ad 7. In allen Fragen, seien es rein politische oder handelspolitische

bez. welcher Natur immer die Fragen seien, hat der Besiegte, wenn es sich um Angelegenheiten auf der Halbsinsel „Volksschule“ handelt, den Sieger davon zu verständigen und darf auch ohne Zustimmung des Siegers daselbst nichts einführen, noch Reformen durchführen vielmehr Privilegien erteilen. – Des Besiegten Handel auf der Halbsinsel ist beschränkt; – Für Schacher ist Zoll zu entrichten. – Die Höhe desselben bestimmt die Finanzkommission.
Ad 8. Die Finanzkommission wird bestimmen ob die Kriegsentschädigung

aus Knöpfen, Klickern, Messern, Nüssen oder anderem eventuell auch aus der Abgabe der täglichen – bis zur gewissen Zeit – Vormittagsjause zu bestehen hat.
Ad 9. Bei Wiederholung der Feindseligten [sic] sind die vorherigen Punkte für den Fall daß der Besiegte nochmals besiegt wird, nichtig. –
Ad 10. Die Unterzeichnung ist perfekt, da mit dem Versehen des Aktenstückes mit den Unterschriften, gleichzeitig auch das Siegel, bestehend aus einem Krempittefingerabdruck, auf das Schriftstück

gesetzt wird. – Den Krempittefingerabdruck hat der Sieger zu tun. Die Krempitte muß der Feind resp. der Besiegte zur Verfügung stellen.
7.VIII. 13.
Die vorgelegten Friedensbedingungen wurden mit großen Augen angeschaut, zumal die Forderungen übertrieben waren. – Meine Wenigkeit, als Vorsitzender der Friedenskonferenz fügte jedoch bald hinzu, daß das nicht unser letztes Wort sein und daß nach dem Prinzip „do ut des“ im Interesse des dauernden Friedens der Sieger bereit sei, den Besiegten insoferne entgegenkommen, daß

die abzuliefernden Zollgebühren eingeschränkt werden können, falls der Besiegte loyal in seinen Gegenforderungen sein werde. – Waren wir doch nicht so sehr große Geschäftshäuser mit fixen Preisen! Auf diese Erklärung meinerseits, erklärte der Bevollmächtigte der anderen Partei beiläufig so: „Im Interesse des dauernden Friedens nicht nur in unserem Lager, sondern auch im Lager der übrigen Mächte, welche eine beachtenswerte Stellung im Konzerte der Mächte inne haben, ferner im Interesse der sozialen, politischen

und wirtschaftlichen Entwicklung, sowohl des Siegers, als auch des Besiegten, ferner auch im Interesse des künftigen guten Einvernehmens mit dem heldenmütigen Sieger, glaube ich nicht unloyal zu sein, wenn ich die uns vorgelegten, allzusehr übertriebenen Friedensbedingungen zurückweise, d. h. nicht annehmen kann. – Revidierend einige Punkte gemeinsam mit Sr. Exzellenz, dem Vorsitzenden, wäre die Gefahr eines zweiten unnützen Waffenganges, sowohl für uns als auch für Euch, einigermaßen zu beseitigen.“ Daher appelliere ich an

die Großmütigkeit und an den, uns gleichen Wunsch, dem Blutvergießen ein Ende zu machen, des Gegners mit der Bemerkung und dem höfl. Ersuchen uns nicht zu zwingen en bloc die vorgelegten Friedensbedingungen anzunehmen, durch was wir gänzlich den Zugang zum Meere d. h. zur Judengasse – abgesperrt bekämen. – Erlauben daher E. Exzellenz damit rascher ein Einvernehmen erzielt werden könne, die bereits schriftlich zusammengefaßten Gegenforderungen vorzulegen in der Hoffnung, daß mit ev. bloß kleinen Änderungen selbe gebilligt werden.“ –

Hier die Gegenforderungen:
1. Sollte der Konflikt nicht endgültig unter den kriegführenden Parteien selbst friedlich beigelegt werden, so wird um die Intervention der dazu geeignetsten und durch ihre Parteilosigkeit bekannten Großmacht, „Königreich Lehrer“ angesucht werden; dem Schiedsspruche dieser Großmacht haben sich beide Parteien endgültig und bedingungslos zu unterwerfen.
2. Sollte das „Königreich Lehrer“ die Arbitrage nicht annehmen, so wird darum bei den kräftigsten, gefürchtetsten und geachtetsten Kaiserreichen, namentlich „Kaiserreich Eltern“ einige kommen, welche auf Grund
Heft 2 - Aladar Pollak

28.VIII.13
internationalen Völkerrechtes verpflichtet sind diese anzunehmen. –
3. Das Territorium: Tempelhof bildet gemeinschaftliches Eigentum der kriegführenden Parteien zumal selber als heiliger Ort betrachtet im Notfalle auch besser dadurch geschützt werden kann. – Was die Judengasse betrifft, haben wir gar keinen Einwand zu machen. –
4. Demobilisierung am Tage des Beginnes meritorischer Friedensverhandlungen.
5. Die minder wichtige Hälfte der östlich liegenden Kasernengasse, d.h. jener Seite, wo die Militär-

Schneider und Schuster sind nehmen wir für uns in Anspruch.
6. Die Rekrutenaushebung hat erst zu Beginn des nächsten Schuljahres zu erfolgen.
7. Von einer Priorität auf der Halbinsel „Volksschule” kann überhaupt keine Rede sein.
8. Die zuammenzutretende Finanzkomission muß die gleiche Anzahl Delegierter auch unserseits enthalten.
9. Vertragsbruch ist casus belli.
10. Inkrafttretung des Vertrages am Tage seiner Unterzeichnung

Kommentar!
Ad 1. Wissend von welcher Gefahr die Intervention des „Königreiches Lehrer“,welches sich bisher durch seine Neutralität, besser gesagt unbewegte Passivität ausgezeichnet, nicht nur für uns sondern auch für den Sieger wäre, welcher durch diese Intervention mit einem Male zum Besiegten werden könnte, glauben wir, daß der großmütige und erhabene Sieger schon im Interesse seiner Siegesfrüchte der Intervention dadurch vorbeugen wird, daß er

durch Annahme unserer Forderungen, – respektive und milder auszudrücken – Vorschläge – die Intervention als unnutz hinstellen wird.
Ad 2. Stützend uns auf die im Ad 1 des Kommentares ausgedrückten Bestimmungen, glauben wir, daß zur entgültigen Schlichtung der Zwistigkeiten nicht das internationale Völkerrecht zur Geltung wird kommen müssen, denn dadurch erginge es uns wie auch dem Sieger wohl am schlimmsten, zumal die „Kaiserreiche Eltern“ als internationale Schiedsrichter,

größtenteils nach der Hausordnung Punkt 1; welcher über das „spanisches Rohr-System“ spricht und durch das „Pracken-Patent“ noch mehr zu [sic] Geltung kommt, handeln. –
Ad 3. Nachdem der Tempelhof, wie der Name schon besagt ein heiliger Ort ist, so haben wir als zur mosaischen Konfession sich Bekennende das selbe Recht auf diesem Orte zu wandeln wie der Sieger selbst. – Umso mehr sind wir dazu berechtigt, da der Sieger erst, (wegen unregelmäßigen

Tempelgehens bestraft wurde. – Abstrahierend jedoch all das, glauben wir nicht Unrecht zu handeln, wenn wir bloß im Interesse des Schutzes dieses heiligen Ortes, dem oft seitens unserer christlichen Kollegen eine Invasion droht, wünschen, daß auch uns das Recht erteilt würde, ohne jede Steuer den Tempelhof zu benutzen um stets, wenn Gefahr droht, mit euch Schulter an Schulter den Feind hinauszutreiben. Für den Aufenthalt in der Judengasse

hingegen sind wir bereit Steuer zu bezahlen, welche aber bloß aus Schreibfedern, Bleistiften, Schulheften und überhaupt bloß aus Schulrequisiten im strengsten, d.h. in engstem [sic] Sinne des Wortes zu bestehen hat. Schulrequisiten im weitesten Sinne wie z.B: Kli[c]ker, Nüsse, Knöpfe, Čigra, Praika, Fischangeln u. a. sind ausgeschlossen.
Ad 4. Nachdem im 20. Jahrhundert von einem dauernden Frieden keine Rede sein kann, da wir doch in einem an Überrüstung gleichendem

Jahrhundert leben und noch gar keine Anzeichen dafürsprechen, daß der Kommandoruf der blaublütigen Greisin – „Waffen nieder“ gehört sein will werden. So glauben wir sogar gut zu tun sämtliche Kriegsutensilien intact zu lassen. - Vielmehr wäre richtig, daß ein Jeder sofort an die Reparatur der unbrauchbar gemachten Geschütze und Gewehre schreite. - Wir haben sogar die Absicht, gewitzigt durch die Erfahrung die wir im letzten

Kriege gemacht haben, unsere Gewehre künftighin auch von der Firma „Hartholz“ zu beziehen.
Ad 5. Infolge Anspruchnahme der minder wichtigen Seite der Kaserngasse [sic], wo die Schuster und Schneider des Militärs hausen, verlieren wir nicht nur den so heißgeliebten, einzigdarstehenden Zwetschgenbaum, sondern auch so ziemlich von den täglichen Labungen des Kommissbrotes und Zwiebacks, nachdem

die Militärschuster und Schneider nichts gerne hergeben, ganz natürlich, bloß darum nicht, weil sie schwer von der Arbeit weggehen. Nachdem man aber dennoch sie lange anbettelt und mit ihnen zum Schluße noch unhöflich wird, weil sie nichts hergeben so bekommt man einen kalten Wasserguß gewöhnlich von oben. – Welche Folgen das zu Hause anlangend nach sich zieht, weiß der Sieger

wohl auch aus eigener Erfahrung. Daher glauben wir wieder richtig zu handeln, wenn wir nur von den Zwetschgen, die uns der großmütige Sieger zugänglich macht, einen Teil abzuliefern geneigt sind. – Nicht aber die Hälfte sondern ein Drittel.
Ad 6. Betreff Aushebung der Rekruten glauben wir, daß diese erst in einem Jahre erfolgen soll. Zu diesem Zwecke soll eine Militärkommission genau festsetzen welchem Staate der Dienstpflichtige

angehört. Den Dienstpflichtigen steht es nicht frei seine Dienstzeit in welchem Staate immer abzuleisten.
Ad 7. Nachdem der Sieger trotz seines Siegens noch immer nicht so stark ist gegenüber den kleinen Staaten auf der Halbinsel „Volkschule“ alle zusammen genommen, so glauben wir gerecht zu handeln, wenn wir die Priorität schriftlich nicht anerkennen. Im Zusammenhang mit dieser Nichtanerkennung, entfällt auch jede Einschränkung

des Handels und die Entrichtung der Zölle.
Ad 8. Die Finanzkommission besteht aus 10 Mitgliedern, die zur Hälfte auch aus unserer Mitte entspringen. Das Präsidium wird ausgelost. Der Präsident hat auch nur eine Stimme! Nachdem unter solchen Umständen sehr schwer zu einem Resultate zu kommen ist und unsere Finanzen ohnehin nicht geregelt werden können, so

glauben wir, daß die Finanzkommission überhaupt nicht zusammentreten soll.
Ad 9. Bei Wiederholung der Feindseligkeiten mögen die Friedensbedingungen nur dann aufrecht bleiben, falls wir wieder als Besiegte hervorgehen sollten.
Ad 10. Die Perfektivität des Vertrages wird dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Heerführer zu gleicher Zeit an einer Krempitte zu essen beginnen, welche nun also

wir zur Verfügung stellen werden. – Nachher muß mit unabgewischten Munde der Mundabdruck auf das Schriftstück gesetzt werden, worauf 101 Kanonenschüsse, d. h. Zündhölzchen zum Krachen gebracht werden müssen.
11.IX.13
Die Gegenvorschläge waren nun also gemacht und es hing allein von uns ab selbe anzunehmen oder nicht. – Nachdem der Besiegte in seinen Forderungen schon einen

für uns nicht sehr angenehmen Ton anschlug, der nicht den Besiegten verriet und sich sozusagen als Sieger in seiner Tonart jenem [???]beschwören wollte, waren schon in Klarem mit uns, dass wir die Gegenvorschläge nicht annehmen werden. Jetzt hieß es eigentlich in nicht diplomatischer Ferne den Besiegten von der Nichtannahme der Gegenvorschläge zu verständigen um auf die daraus folgenden Konsequenzen aufmerksam zu machen. – Wir hätten zwar von dem Besiegten neue Vorschläge verlangen können. Auf das konnten wir jedoch schon aus dem Grunde

nicht eingehen, da durch Verschleppung der Verhandlungen der Besiegte Zeit gewinnen könnte um sich vorzubereiten für neue Angriffe. – Daher hieß es vorsichtig sein und kurz und bündig dem Besiegten die Nichtannahme der Gegenvorschläge zu erklären um ihn gleichzeitig aufzufordern sich vollkommen den von uns aufgestellten Friedensbedingungen zu unterwerfen um jedes weitere unnütze Blutvergießen zu verhindern und der Kulturwelt zu beweisen, daß wir im Stande sind

unsere Angelegenheiten und Zwistigkeiten allein zu ordnen und zu schlichten. – Es war aber dieses hartnäckige Verharren bei den von uns grundlos aufgestellten Friedensbedingungen fatal für uns und mit einem Schlage begann der Glanz unseres Siegessternes zu matten. Trotz Punkt 1. der Friedensbedingungen wonach das „Königreich Lehrer“ von dem Konflikte nicht in Kenntnis gesetzt durfte werden für welche Tat der Handelnde mit den schwersten Strafen heimgesucht wäre, d. h. als Vaterlandsverräter

erklärt und als solcher über die Grenze hinaus geschoben, welche den Tempelhof und die Judengasse bildete, fand sich dennoch einer aus dem Lager der Besiegten, der die ganze Sache dem „Königreich Lehrer“ vortrug und es der Schmach vorbeugte, d. h. von den Siegern in solcher Art und Weise wie aus den Friedensbedingungen ersichtlich, gedemütigt zu werden. – Wir wurden alle vor das hohe Tribunal vorgeladen. – Das „Königreich Lehrer“ in welchem der Herr Lehrer sämtliche Funktionen innehat, die in einem modern Staate nicht zu vermissen sind, war so genau

von dem ganzen Sachverhalt informierte, dass es keine Zweifel mehr gab, dass nicht einer der Krieger alles an die Trommel hing. Sieger und Besiegte glichen jetzt Kriegsgefangenen, welche vor dem hohen Tribunal stehen auf das weitere Schicksal harren. – Besonders niedergeschlagen war der Sieger; ja sie lassen die Köpfe hangen, denn hier war ja alles: das Heer und der Kaiser gefangen. Nachdem der Herr Lehrer die ganze Sache uns mit einer großen Strafpredigt vorgehalten, in welcher er bewies, dass er haarklein alles weiß, blieb nichts anderes übrig, als auf die Frage des Herrn Lehrers

ob alles so wahr sei, die Wahrheit dessen zu anerkennen. Ein Leugnen gebührte sich ja unser nicht, und wäre auch ein solches unnutz gewesen, da das ganze Heer des Besiegten Zeugenschaft gegen uns hätte abgegeben. – Mit haßerfülltem Blicke schauten wir die Besiegten an, als wollten wir sie an den Punkt 1 der Friedensbedingungen ermahnen. – Das half aber alles nicht, denn unser Schicksal lag jetzt in den Händen des Herrn Lehrers, als Staatssekretär des „Königreiches Lehrer“, der unbeachtet des Punkt 1. gegen

uns vorzugehen hatte um uns zu versöhnen, wenn nicht eine Strafexpedition zu entsenden. – Da die ganze Schuld auf uns gewälzt wurde und wir allein für diesen Bruderkrieg verantwortlich gemacht wurden, sah sich der Staatssekretär vermöge seiner ausgedehnten weitgehendesten Vollmacht, als Vollstrecker des Wollens der übrigen solidarisch erklärten Großmächte, namentlich der „Kaiserreiche Eltern“, – veranlasst, uns allein für diesen Bruderkrieg büßen zu lassen. – Wir

streubten uns dagegen, da wir ja doch von ihm herausgefordert wurden – es nutzte aber all das nichts. Wir wurden also allein bestraft, d. h. über unser Hab und Gut wurde die Sperre verhängt – oder mit anderen Worten, die der Orginalität nicht entbehren: „Ihr drei – Pollak, Garay und Leon bleibt heute über Mittag unter Schloss und Riegel.“ Wir guckten uns groß an, schauten auch den Lehrer an und wollten ihm eine versöhnliche Haltung hervorlocken – doch vergebens. „Über Mittag“ war „über

Mittag“ und auf unseren Lippen hang es auch “über Mittag“ und in unserem Magen war sofort der Wiederhall „über Mittag“. Obendrein dann wohl die Angst vor den Prügeln die uns des „über Mittag“ wegen zu Hause erwarteten und dann noch mit dem leeren Magen diese zu erhalten. – Wir fügten uns – ließen bald nichts mehr von diesem uns zugestoßenen Unglücke mehr merken und trösteten uns noch nur damit, dass der Herr Lehrer, wenn die Stunde anrückt, sich erbarmen werde und uns heimschicken werde. – Gestärkt

durch diese Hoffnung waren unsere Mienen gleich freundlicher und was die Hauptsache war wir verhielten uns den Besiegten gegenüber doch noch immer als Sieger und schauten sie von oben herab. Die zwei oder drei Stunden die wir noch in der Schule zu sitzen hatten waren uns eine Ewigkeit – lag doch in der letzten Stunde unser ganzes Schicksal d.h. das „über Mittag“ oder „bis Mittag“ und Fortsetzung „Nachmittags“ das erstere wäre uns wohl vieles lieber gewesen, denn da hätte man zu Hause nichts

von all dem erfahren. Es kam um die erste Stunde. Nach altem Brauch mussten wir, da alle gingen sitzenbleiben um vor allen zu dokumentieren, dass wir zu Sorte „über Mittag“ gehören. Das letzte Fünkchen der Hoffnung erlosch – wir blieben „über Mittag“ aber wirklich „über Mittag“ denn was sonst nie geschah aber was wir ahnten, wir kamen faktisch hinter Schloss und Riegel. – Das schlimmste dabei war, dass wir nicht wussten wie lange das „über Mittag“ zu währen hatte. Da tauchten verschiedene Gedanken auf. Wir

waren in Angst, dass die Eltern über unser Ausbleiben, resp. Fernbleiben in Sorgen sein werden. Wäre das „über Mittag“ bei uns oft vorgekommen, so hätte man zu Hause schon ahnen können, was vorgefallen sei – wir waren ja aber Engel – ganz natürlich freche die zur letzten Strafinstanz angelangt sind. Knieten wir im Winkerl oder verbrachten wir Stunden am Geisterboden blieb das doch zunächst den Eltern unbekannt. Aber jetzt „über Mittag“, ja „über Mittag“ und der Magen sang stets das [sic] Refrain „über Mittag“. – Es

war aber nichts an der Sache mehr zu ändern. – Der Herr Lehrer saß beim Mittag und die anderen Schulgenossen und wir saßen „über Mittag“. Wir fanden uns doch endlich drein. Nun hieß es wie die Zeit über Mittag verbringen. Da fiel meinem sonst sehr einfältigen Kollegen Garay ein „Schule zu spielen“. Es war rasch akzeptiert. Er, Garay war der Lehrer und wir die Schüler. Das spanische Rohr, das sonst hinter dem Kasten stand auf dass es der Herr Lehrer es rasch bei der Hand hat, nahm Garay her und fest auf dem Tisch klopfend gab

er das Zeichen, daß der Unterricht beginne. Ich muß gestehen, daß wir ruhiger bei diesem ad hoc per akklamationem gewählten Herrn Lehrer waren, als beim wirklichen und daß unsere Augen und Ohren mehr an seinem Munde als an dem des wirklichen Lehrers hingen. – Ja, sein Vortrag war doch vieles interessanter. – Er sprach von den Ausreden, die wir zu Hause gebrauchen werden um uns wenn möglich rein zu waschen. Ferner von den Möglichkeiten des Durchgehens. – Das Letztere gefiel uns, nein unseren

Magen fast besser als das Erstere. Das Erstere hingegen gefiel unserer Haut wieder besser als das Letztere. Beides gehörte ja aber zu unserem Körper; sowohl Haut als auch Magen; somit hieß es für beider Rechnung tragen. Es war vielleicht erst eine halbe Stunde nach Schluß des Schulunterrichtes. Somit war die Frage des Durchgehens nicht nur aktuell sondern akut geworden. Konnte man sich doch auf der Straße eine halbe Stunde verschenkt haben. Durchgehen war also das Sein

oder nicht Sein. – Die Lebensinteressen forderten einen Ausweg. Es war uns doch der Zugang zum Meere – für uns das Mittagessen – abgesperrt. Somit mussten wir einen Ausweg finden um dem Staate – als solchen betrachteten wir uns ja noch immer – die Lebensinteressen zu sichern um so die Bevölkerung vor Hungersnot zu bewahren. Wir suchten nicht lange, denn wir hatten 4 Auswege; es handelte sich nur welches der günstigere wäre. – Nach kurzer Beratung wählten

wir das Fenster welches am weitesten vom Haustor entfernt ist – wodurch die Möglichkeit vorhanden, daß wir durch diesen Ausgang so ziemlich ungestört den Abzug antreten können. – Rasch war das Fenster offen und wir sprangen auch einzeln hinaus, nachdem wir vorher die Bücher in unseren Kleidern versteckt hatten und schlossen wieder das Haustor. „Aufwiedersehen in einigen Minuten“ riefen wir uns zu und sprangen nach Hause. – Zu Hause angelangt wurden wir gar nicht befragt

über die Ursache unseres Fernbleibens, da eine solche Verspätung nicht selten gewesen. Hatten wir ja doch verschiedene Spiele, welche auf dem Wege dem Hause zu nach der Schule gespielt wurden und so den Heimgang hübscher zu gestalten. Nachdem ich rasch Nahrung zu mir gekommen, packte ich mich sofort zusammen und lief zurück in die Schule – aber schon Nach-Mittag. Wie zusammengesprochen fanden wir uns zu gleicher Zeit da selbst ein. Fast alle hatten wir von den Eindrücken die wir zu Hause bekamen gleich lautend zu erklären, daß

unsere Väter und Mütter uns nachsagten: „Wie verspielt der Bub ist, nicht mal Zeit nimmt er sich gehörig zu essen“. – Ach, wenn Vater und Mutter gewußt hatten, was sie nicht wußten! Wie lebhaft bedauerte ich den Abschied von unserer Lieblingsspeise - es gab nämlich Mehlspeise - und zum Unglücke alle hatten wir an diesem Tage Mehlspeise. Garay war aber so klug und nahm eine recht tüchtige Portion mit über die wir wie Löwen herfielen. All diese Erklärungen und Erläuterungen der Nebenumstände gaben wir noch im

Schulhofe debattierend ab, da uns noch nicht die Luft genug rein war um in die Schule zurück zu kehren. – Es gingen doch sehr viele Leute vorüber gerade um diese Stunde. – Wären wir dann hineingesprungen, hätten wir uns doch der Gefahr ausgesetzt, daß einer das dem Herrn Lehrer meldet in der Meinung, daß wir die Schule zu plündern beabsichtigen. Die Luft ward aber doch endlich rein geworden. Ich als [???] hob beide hinauf um mich dann allein vermöge meiner erprobten Muskeln hinauf zu schwingen. Beide waren schon im

Schulzimmer – nur ich zappelte noch draußen. Da kam der Herr Lehrer angerückt. – Ein Schrei: „Der Herr Lehrer“ und schon hatten sie mich bei den Händen und ich war auch schon im Zimmer. Der Herr Lehrer öffnete das Schulzimmer und trat herein. – Er schaute uns an um endlich nach kurzer Pause: „Wann seid ihr Schurken nach Hause gegangen?“ „Bittschen Herr Lehrer wir waren nicht zu Hause“ klang es in einer Stimme. „Ich habe euch aber draußen gesehen, d. h. dich Pollack und da waren ja alle sicher draußen

d.h. zu Hause und seid dann wieder hergekommen“. – „Bittschen Herr Lehrer wir waren nicht zu Hause“ klang es wieder aber in gedämpftem Unisono. – „Also wo denn waret ihr dann“? „Der Pollack bittschen Herr Lehrer war nur draußen weil ihm das spanische Rohr mit welchem er uns auf der Landkarte einige Städte welche wir zur Aufgabe haben, zeigte, hinausfiel und da sprang er hinaus um es zu holen.“ – „Ist dem so“? „Ja bittschen Herr Lehrer.“ „Also ihr wart noch nicht zu Hause.“ ,,Nein.” „Also packt euch

dann Schurken zusammen, nehmet eure Bücher und geht.” – Wir rafften uns auf um zu gehen – da bemerkte der Herr Lehrer, daß wir keine Bücher haben. – „Ja, wo sind denn eure Bücher?” – „Bittschen, wir haben sie nach Hause geschickt und haben uns nur das Gebetbuch behalten. – Jeder zeigte ein Gebetbuch. Ein solches war ja stehts unter der Bank – da der Morgengottesdienst damals in der Schule abgehalten wurde und die Realschüler ihre Gebetbücher stets

dort ließen. – „Das ist aber wirklich sehr schön von euch, daß ihr Hebräisch auch gelesen habt.” – „Geht jetzt und morgen werde ich mir die andere Herrschaften ausborgen und da behalten, denn jetzt sehe ich, da ihr so schön die Zeit im Arrest ausgenutzt habt, daß ihr doch nicht so schlecht seid und an allem Schuld.” – „Kissdiehand“ und wir liefen schon hinaus freuend uns daß alles so wohlgelungen und jauchzend und triumphierend,

daß morgen die Herren Frohlocker an die Reihe kommen. So seht ihr nun also wieviel Unheil der Krieg der zwischen den Buren und Engländern wütete, angestiftet.

18.IX.13
Allerlei kleinere Geschichten!
1.
Ich bin im Hause des größten und angesehensten Semliner Faßbindermeisters, in der Gasse des Mata Ivić Nummer 6 groß gewachsen. Da kann es wohl keinen Wunder nehmen, wenn ich sage, daß ich in meiner frühesten Jugend schon eine besondere Vorliebe für die Faßbinderei an den Tag legte. -
Ehe noch der Morgen heranbrach, standen schon die Burschen mit ihren Setzhammern um die Fässer herum und mit einem anderen Hammer darauf

schlagend, entlockten sie dem hohlen Fasse für mich so recht liebliche Melodien, die durch den Morgenanbruch das Gezwitscher der Vögel übertönten und mit kleinen Pausen bloß den ganzen Tag fast anhielten. -
Da gab es oft 30-40 Burschen bei der Arbeit; besonders in der Zwetschkenzeit (sic), in der Glanzsaison der Faßbinderei ging es lustig zu.
Ein jedes Faß gab einen anderen Ton und darauf schien mir das zusammengenommen als ein harmonisches Ganzes. - Überhaupt an allem und in allem der Faß-

binderei fand ich ein (sic) Gefallen und dieses stieg umso mehr, da ich bei den Gehilfen die festen, starken Muskeln sah, - doch damals mein einziger Traum - die sie sich nur infolge der Arbeit an der Faßbinderei erworben haben. Da war sofort der ganz begreifliche Entschluß gefasst Faßbinder zu werden.
Es fraß aber dennoch in meinem Inneren: Zuerst die Schulen fertig machen. - Also ein gelehrter, intelligenter Faßbinder! Wie schön mag ich mir damals das ausgemalt haben! Zeitig

morgens mit 30-40 Burschen stehen und hämmern und dabei die frohen Arbeitslieder durch die Morgenstille ziehen zu lassen, wetteifernd mit den munteren Vögelchen und stets mit dem Hammer den Akkord gebend, den Körper durch Arbeit stählend und dabei dennoch das Bewußtsein nicht als bloßer Handwerker dazustehen, sondern als ein Arbeiter, der sich auch Wissen angeeignet und Schulen genossen! Solche und ähnliche Bilder tauchten wahrscheinlich im Gehirn auf. -

Die Fähigkeiten und Geschicklichkeiten, die man zur Faßbinderei benötigt, hatte ich doch mir erworben, zumal ich meinen freien Stunden bei dieser Kunst verbrachte. - Ganz glückstrahlend muss mein Antlitz gewesen sein, da ich zum erstenmale schon in der Lage war, mit den Burschen um das Faß gehend, rechtzeitig zum Akkord den Hammer fallen lassen zu können; das ist wohl nicht einfach - denn man muß auf verschiedene Takte und Tonarten achten und jeder

Bursche schmiedet sich die eigenen. – Ich kannte aber bald alle Variationen und so durfte ich um das Faß herum beim hämmern mitgehen und mithämmern, nicht wohl stets auf die Reife, sondern auch auf die eigenen Finger hämmernd. Ich steckte sie aber gleich in den Mund, den Fuß dabei vielleicht auf vor Schmerz hebend – aber die Schande ließ mich nicht weinen sondern trieb mich rasch zur Fortsetzung – Das Liebste bei der ganzen Faßbinderei war mir aber danach

offen gestanden das schon fertige Faß oder besonders zur Zwetschkenzeit der schon fertige Bottich, die mir zu Schulzwecken verwendete. [sic] – Ich war aber auch berechtigt damit zu spielen, zumal ich doch auch meine Kräfte zu dessen Fertigstellung aufs intensivste einlegte. All diesen schönen Seiten der Faßbinderei, aber besonders die letztere, die Spiel-Seite, gefielen mir so, daß ich nicht allein Faßbinder werden wollte, sondern mich auch recht bald anschickte die

Schulgenossen für dieses sehr schöne Handwerk zu gewinnen, indem ich versuchte ihnen all diese erwähnten Schönheiten beizubringen. Ich erließ einen förmlichen Aufruf an die Schulgenossen – besser gesagt Anruf – denn vor der Stunde stellte ich mich auf den in der Schule vorhandenen Tisch – oder auf die Bank, und sprach beiläufig laut so: Das schönste Handwerk ist heutzutage die Faßbinderei. Das sage nicht nur ich, sondern der größte Semliner Faßbinder bei dem ich wohne

und seine 30 – 40 Gesellen sind derselben Ansicht. – Da bekommt man nicht nur starke Muskeln – sondern die Fässer sind besonders geeignet um „Verstecken“ – „lore“ und „žmure“ [zwei letztere sind auch dem „Verstecken“ ähnliche Spiele] zu spielen. – Da zündeten sich gleich alle Gesichter vor Freude an und man wußte nicht was mehr prickelte - die Muskeln oder die Spiele – Ich brauchte nicht mehr zu sprechen, denn alle schrieen schon,

daß sie alle nach der Schule mit mir mitgehen werden. – So geschah es auch. – Einige gingen garnicht nach Hause um sich nach der Schule zu melden, sondern geradeaus von der Schule zu mir. – Ich stellte dem Faßbinder die neuen Arbeiter vor mit dem Bemerken, daß ich sie alle so begeistert habe für die Faßbinderei, daß sie auch dieses Handwerk lernen wollen. – Der Meister meinte, daß er nicht imstande sei so

viele Lehrburschen zu halten, da es ihm an Werkzeug mangelt, sondern nur einige von denen mit mir da „arbeiten“ können. Während dem ich da im Namen einer künftigen Lehrburschen-Korporation mit dem Meister verhandelte, hörte ich plötzlich rufen: „Zeit“ – auf der anderen Seite wieder „lore“ „lore“ „lore“ – von dort wieder kam es [???] und schon sah ich die künftigen Lehrburschen die

recht hohen Bottiche erklettern und hinein sich lassen. – Da ließ ich auch den Meister wohl rasch im Stich und war mir jetzt erst dessen bewußt, weshalb ich so dieses Handwerk, besser gesagt die fertigen Werke der Hände, liebe. Husch – und ich war auch schon in einem Bottich und begann „lore“ zu schreien. – Da erst erkannte ich welcher Segen auf diesen Bottichen ruht. – Ich konnte ruhig sitzen und „lore“ schreien und der Suchende

konnte mich nicht so leicht finden, zumal er oft 50-60 Bottiche abzusuchen hatte. – War er mir sehr nahe sprang ich dann in einen andern Bottich und bei diesem Spiele war ja die Hauptsache auf den zu Suchenden die Hand zu legen und nicht bloß zu sehen. – So ging‘s lustig, hurtig und munter oft bis spät in den Abend hinein. Kamen die Genossen dann spät zu Hause an, hieß es stets: „Ich war beim Pollak, die Aufgabe machen.“ Sie hatten aber auch

nicht gelogen – zumal sie mit mir stets folgende Aufgaben lösten: Hinaufklettern auf den Bottich, hineinspringen und hinunterlassen in den Bottich – den Bottich vermöge seines eigenen Gewichts in Bewegung setzen und sich so darin schaukeln und zugleich balancieren lernen u.s.w. u.s.w. – Diese und ähnliche Aufgaben half ich – als Eingeweihter und Geschulter – stets meine [sic] Schulgenossen lösen. – Hätte ich damals, da ich

mit dem Meister so ernst als Vorsteher und Vertreter der künftigen Lehrburschen-Korporation verhandelte, nicht auf einmal „lore“, „Zeit“, „žmure“ und noch ähnliche Sachen gehört und erkannt daß doch da eigentlich für uns von damals der edelste und schönste Zweck der Faßbinderei liegt, wäre ich vielleicht noch zum Schluße zum Faßbindern herangereift. – O habt Dank all jene, die in der ersten Minute meiner Verhandlung mit dem Meister

plötzlich „lore“, „žmure“ und „Zeit“ riefen und mich so lehrten, daß wirklich von dieser Seite die Faßbinderei genommen von größerem Nutzen für uns gewesen. Aber nicht nur für uns allein - d.h. für unsere Spielsucht, sondern auch für die Schneider, zumal die Bottiche oftmals an unsern Kleidern hangen geblieben, welche dann stets ein Stück von den Bottichen weggerissen haben. – Trotzdem war es aber dennoch schön und wir hatten unsere diesbezügliche

Freude an der Faßbinderei, besonders da in der Zwetschgenzeit Bottiche zu machen waren.
O schöne, herrliche, goldene Zwetschgenzeit!

25.IX.13
2.
In meiner frühesten Jugend schon wurden mir in meinem Elternhause eigene Apartements angewiesen, in denen ich fast als der ausschließliche Herr und Gebieter walten konnte und durfte. - Ihr denkt vielleicht an die luftigen, räumigen Kinderspielzimmer, in denen in einer Ecke etwa ein hölzernes Pferd zu finden ist, auf dem Fußboden unter anderem Schulzeug der Baukasten mit den herumgeworfenen Bausteinen, Bilderbücher mit ausgerissenen Bildern, Malbücher

mit schauderhaften Malereien u. dgl. liegen; wo an den Türpfosten ein gar hübsch Turngerät angebracht ist und in einer anderen Ecke die so selten benutzten staubigen Eisenstäbe verrosten und die Kugel der Rechenmaschine fast gar keinen Fingerabdruck aufweisen oder aber die Stücke, die Bestandteile des allzuviel benutzten Gewehres oder des Säbels dunter und drüber liegen. So vielleicht stellt ihr euch meine Apartements vor. Doch nichts von all dem

in meinen Apartements. Meine Apartments waren wohl räumig, ja fast riesenhaft könnte man sagen. Tag und Nacht drang die frische Luft in diese hinein – aber nicht meinetwegen, sondern der darin aufgespeicherten Früchte, des Getreides wegen – denn meine Apartements waren des Vaters Getreidemagazine. Hier konnte und durfte ich schalten und walten; und waren zufällig die Arbeiter beschäftigt mit der Verladung des Getreides, so

blieben immerhin noch einige Magazine mir zur Verfügung stehend übrig, zumal die Arbeiter stets doch höchstens nur in 2 Magazinen resp. Apartements beschäftigt sein konnten. Diese Apartements wurden zu meinem Lieblingsaufenthalt während meiner freien Zeit, aber erst dann, da ich bei der Fassbinderei und der Schusterei Fiasko erlitten. Nach einigem Mißlingen bei der Faßbinderei habe ich mich der Schusterei zugewendet.

Zum Vorbild wurde mir der meisterhafte, unermüdliche Schuster Wechtler – alias Rendel – der noch heute wie vor Jahren in der „12 Apostel Gasse“ bei seinem Leisten sitzt. – Da habe ich die ersten aber auch die besten Lehren der Fußbekleidungsarchitektur genossen. – Ich brachte es schon so weit, daß ich alte Schuhe sorgfältig zertrennen konnte und sogar auch faustgroße Flecke aufnageln konnte. – All das erlernte ich während meiner freien

Schulzeit. – Mein Prinzip war nämlich ein „königliches“ – jeder Herrscher muss ein Handwerk beherrschen. – Das Handwerk beherrschte ich schon fast – aber die Prämisse oder besser gesagt die Schlußfolgerung: Herrscher fehlte mir. – Es waren nämlich gar keine – aber wirklich gar keine Aussichten, daß ich mal Herrscher werden sollte. – Deshalb warf ich die so liebgewonnene Schusterei über den Haufen. - So oft ich aber beim Schuster „Rendel“ vorrüberging mußte ich an die

meinige einstige Schusterei, ja aber auch unwillkürlich an die Herrscherei denken. Die Herrscherei ward mir zum alltäglichen und allnächtlichen Traume. – Und während dann ich mich im Traume auf dem dreifüßigen, mit „Schusterpapp“ geklebten Stühlchen sitzen sah, einen alten, vielleicht fürstlichen Schuh sorgfältig zerlegend, den „Rendel“ Gott weiß wo gefunden und ihn als für noch verwendbar d.h. dessen Bestandteile, heimbrachte, oder meine fast

aus puren „Flecken“ bestehenden Schuh mit noch einem „Fleck“ bereichernd – da sah ich mich zugleich auf dem künftigen Thron. – Ein Handwerk habe ich – die Fußbekleidungsarchitektur ward mir zu eigen, nun konnte ich ganz leicht zum Herrscher auserkoren werden. – Die nötigen Qualifikationen hatte ich also. – Ich hatte ja auch schon mein Reich u. z. meine Apartements – somit musste ich nur der Königswahl harren und obendrein, daß mich die Wahl

betreffe. – Ich hatte also mein Reich in den Apartements gefunden – nur fehlte in diesem Reiche das Volk, das mich wählen könnte. – Nun musste ich trachten mein Reich anzusiedeln. Ansiedler konnten nur meine Schulgenossen werden, zumal ich bei ihnen sehr in Ehren stand und daher auch die Möglichkeit gegeben war, daß ich der kommende Mann mit dem ganz einfachen demokratischen Titel „Majestät“ sein werde. – Mein Reich war rasch

bevölkert. Lauter kleine Leute – es glich dem Liliput Staate, - Den Grund bildeten die Magazine mit den Getreidevorräten verschiedenster Art – alles geeignet um sich festsetzen zu können - - - - denn das ceterum censeo dieser Bevölkerung um dauernd auf einem Platze zu bleiben war – das Spiel. Nachdem meine Apartements, die jetzt schon dem Staate sich nähern, für alle Spiele ausprobiert waren, stellte sich heraus, daß

sie am geeignetsten für das Soldatenspiel wären; - ich wollte nämlich sagen; stellte sich heraus, daß nachdem die geographische Lage des Reiches geprüft worden und befunden, daß es infolge dieser Lage äußeren Angriffen ausgesetzt ist – daß zu seinem Schutze Militär aufgestellt muß werden und daß der Staatsbestand durch einen Herrscher nach außen geltend gemacht muss werden. – Herrscher! Ach, mein Traum! Also doch nicht umsonst bei Schuster „Rendel“ die freie Zeit zugebracht!

Ich werde sicher zum Herrscher gewählt werden! Also doch auf den Thron! Diese und ähnliche Gedanken durften damals in meinem Gehirn sich gejagt haben.- Ich nahm die Sache sehr ernst auf – denn Herrscher sein ist keine Kleinigkeit. – Ich habe mich ganz passiv verhalten, die Wähler gar nicht beeinflusst oder nach heutigem System selbst Agitationsreden für sich selbst gehalten. – Nein, die Wahl mußte frei sein – es ist eine Königswahl. Und einstimmig wurde ich auch gewählt. – Sogar

hätten diese mich nicht als Herrscher in meinem Reiche anerkannt, da hätte ich sie ganz einfach hinausgetrieben, und solange hätte ich hinausgetrieben, bis sich nicht die richtigen gefunden hätten, die mich als Herrscher anerkannt würden haben, d.h. mich zu solchem gewählt. Aber ich wurde doch gleich unter der allgemeinen Begeisterung der ganzen Bevölkerung zum König auf den Schultern gehoben, ausgerufen. Ja, sie konnten aber singen,

Einen besseren brauchen wir nicht, denn ich war ein selenguter [sic] Monarch. Die Untertanen mußten durch meine Güte und das majestätische Entgegenkommen weit davon entfernt gewesen zu sein, die Hände mit meinem Blute zu beflecken. - Ich war nämlich so eine ganz einfache Majestät demokratischer Veranlagungen. – Kein Wunder – denn von der Schusterei zur Majestäterei !! Ich ward aber einmal der Monarch, als solcher wurde ich respektiert, und

das Volk war mit mir vollkommen zufrieden.--- Nun hieß es zum Schutze des Staates und der Krone eine Wehrmacht ausbauen. – Diese war mehr zum Schutze der Krone – denn nur durch die Wehrmacht, die aus einer einzigen Truppengattung bestand mit dem Zwecke dem ernsten „Soldatenspiel“ zu dienen – wurde mir die Krone aufgesetzt. – Also vom Soldatenspiel war die Krone abhängig. – (Es dünkt mir, daß dem auch heute so im modernen Staatenleben ist.)

Rasch werden Kasernen gebaut und für die Unterkunft der Soldaten gesorgt. – Getreidesäcke, die wohl genügend vorrätig waren, wurden auf dem Fußboden des größten Magazinraumes ausgebreitet – ein Sack zusammengerollt, der als Polster dienen möge und – die Kaserne war fertig. – Hartes Lager – also ganz vorschriftsmäßig. Aus den Holzabfällen der Faßbinderindustrie wurden Gewehre, Säbel und Bajonetts geschnitzt. – Um Raum zu mehr zu gewinnen, mußte

die Getreidesorten stets aufschaufeln und mit Brettern verschallen. – Nachdem sehr viel Getreide sich aufhäufte oftmals, waren die Soldaten gezwungen zu übersiedeln, d. h. wie der Fachausdruck lautet, sie wurden dislogiert – aber stets in selbem Reiche d. h. vom Weizen-Magazin ins Hafer-Magazin – oder vom Gerste-Magazin auf den Kukuruz-Boden, wo zur Zeit nämlich mehr Raum vorhanden war. – Überall aber, wohin die Mannschaft kam,

wurde mit militärischer Schnelligkeit die Kaserne eingerichtet. – Die Säcke wurden samt den Gewehren und Säbeln mitgeschleppt – und mehr hatte man ja nicht. Die Hauptsache war, dass sie wo immer sie gewesen, nichts anderes als stamme Militaristen waren, die für Kaiser-König und Reich das Blut hinzugeben zu jeder Zeit bereit waren. – Die Wehrpflicht war eine allgemeine, noch dazu eine solch allgemeine, dass jeder Untertan in diesem Staate diente und obendrein mit

vollster Begeisterung. Das Dienen beim Militär war ihnen der eigentliche Zweck des Aufenthaltes in Staate. – Wie im Grossen Ganzen beim Militär, so bestand auch unsere wohlausgerichtete Mannschaft aus Gemeinen und Chargen. – Letztere waren aber auch wie stets beim Militär schon ist, die Ersteren. – Gemeine gab es in strengsten Sinne genommen sehr wenig, dafür gab es aber mehr der Chargen, welche doch die Gemeinen überflügelten. – Im Offizierchor gab

es auch mehr der höher Chargierten, die sich von den Rangjüngeren auch dadurch schon unterschieden, dass an ihnen mehr des Gemeinen schon haftete. – Die Avancements gingen sehr rasch von sich. – Da war das Avancement nicht stricte an den Monat Mai oder November gebunden. – Das kam daher, weil oft gekriegt wurde und so in dem sehnlichsten Wunsche des Militärs Rechnung getragen wurde; ich meine hier nicht gerade

das Kriegführen, ich denke vielmehr hier an die schlechten Avancements bei der Armee, welche das Militär für den Krieg – den Krieg um den Stern – begeistern. Wissend also das genau und kennend diesen Drang und Kampf der dem Sterne geweiht war, dadurch aber auch dem Wohle des Vaterlandes, habe ich sehr oft begeisterte Kriegsproklamationen ergehen lassen, um wenn schon nicht das Land zu erweitern, so aber doch den Chargenhorizont fürs Militär. Daher kam es, dass die

Chargen die Gemeinen überflügelten. – Das war aber ein idealer Staat, denn da wurden fast 2/3 des Einkommens aus allen möglichen und unmöglichen Staatsquellen für die Heeresmacht verwendet – (heute machen es die modernen Staaten nach unserem einstigen diesbezüglichen Muster, nur mit dem Unterschiede, dass sie 5/3 des Einkommens zum Ausbau der Heeresmacht verwenden; die überzähligen 2/3 werden nämlich auf den Rücken der Bürger geschrieben und so recht

pleonastisch: Staatsschuld genannt.) Während dem wir wenigstens 1/3 für kulturelle Zwecke im Staate selbst auch verwendet hatten, geht der heutige Staate aber noch weiter indem er den Nachkommen 2/3 an Kultur zurückläßt, d. h. Staatsschuldentestamente, welche 2/3 weniger enthalten an Wert, als der Erbe an Legaten bloß auszuzahlen hat – Das sind aber moderne Staaten und wir waren ein Staat nach längst

veraltetem System. – In einer Hinsicht aber deckten wir uns ganz mit dem Militär von heute. – Nämlich die gleichen Auszeichnungen hatten wir fürs Militär, sowohl für die wenigen Gemeinen als auch für die den Gemeinen gegenüber höher stehenden, wie auch für das Offizierschor. – Für außergewöhnliche Dienstleistung gabs einfache Belobungen seitens der Offiziere, der Kommandierenden des obersten Kriegsherrn, der selbst sich von

allem gerne überzeugen ließ. – Dann gab es schriftliche Belobungen mit eventueller Veröffentlichung in der „Militärischen Rundschau“ oder wie damals das Blatt hieß „Militärische Schultheke“. – Ferner Ordenverteilung, sowohl für Verdienste im Frieden als auch für jene im Kriege, ferner Tapferkeitsmedaillen; überhaupt von der kleinsten bis zur höchsten Auszeichnung ging es auch bei uns, d. h. vom „Wichtigmacher-

Orden“ angefangen, welchen man an der Brust angeheftet trug, bis zum „Servietten- oder Hemdschützer-Orden“ welchen man um den Hals gebunden zu tragen hatte wie eine Glocke, als sichtliches Zeichen, dass dieser Ausgezeichnete stets allen anderen vorausgehen kann. – (Honorig seit _ _ _ _)
Diese Orden stammten größtenteils aus der Fabrik „Brüder & Co.“. Diese Fabrik befaßte sich nicht

ausschließlich mit der Fabrikation von Orden. – Bloß an gewissen Tagen stellte sie Orden her. – Ehe aber diese Orden hergestellt werden können, müssen die Firmainhaber einen Tanz – Kotillon – genannt absolvieren. Dann erst können Orden hergestellt werden. Die ganze Prozedur hier zu schildern wäre vollkommen überflüssig, zumal doch Jedem fast diese bekannt sein mag. – Eines

muss ich aber betonen, dass diese Orden sehr heikel waren, deshalb trug man sie nur bei besonderen Gelegenheiten – nämlich dann, wenn nicht ein Teilnehmer der Fa. „Bruder & Co“ zugegen war. – (Ihr, die ihr solche Orden getragen wisset wohl ganz gut was das heißt, wenn so ein Firmainhaber den Orden sah. – Vielleicht habt ihr es schon vergessen. – Ich flüstere es auch drum zu: Die Orden waren zum größten Teile von einem Firmainhaber gestohlen.) Gestohlen mussten

sie werden, denn denkt euch wie fest diese Firma „Bruder & Co“ an diese Orden hielt. – Manche bloß gaben es leicht her, die, welche nicht darin einen Talisman erblickten. –
Die allerhöchste Auszeichnung sowohl für die Gemeinen und Höheren als die Gemeinen, war das „Wagenfahren“. Das muss ich näher erklären. Wenn nämlich das Getreide zur Verladung ins Schiff geführt wurde, da durfte einer mitfahren, hoch oben auf dem

mit vollen Säcken beladenen Wagen sitzend. - Das war die allerhöchste Auszeichnung, welche noch dadurch gesteigert wurde, dass dem Kutscher der Auftrag erteilt wurde, den Ausgezeichneten kutschern zu lassen – Diese Auszeichnung entsprach dem „Maria Theresia – Orden.“ - So viel über die Auszeichnungen!
Was den gesellschaftlichen Verkehr in der Armee betrifft, war alles sehr ja sogar sehr, sehr

nach Waffengattung gesellig. – Übrigens ist das ja heute auch noch so. –
Es war im großen Ganzen nichts anderes als eine ernstes, hingebungsvolles aufmunterndes Soldatenspiel, ein Spiel, welches in seiner Art den Menschen bis in sein Greisenalter fast noch gefangen hält. –
9. X. 10.
Radala

9. X. 13.
3.
Als kleiner Junge war ich schon ein Tausendkünstler. - Ich verstand das Kliker- Nüsse- Knöpfe- Čigra- Klis- Langemeta- Schnitermeta- Reiftreiben- Praška- Rule- Popike- Cara daj vojnika- na zid- lopova i pandura- cariča- pisara- žmurke- di su oštre makaze-Spiel und noch viele andere Spiele, welche mir momentan nicht einfallen, auf die ich aber in meinen weiteren Ausführungen hier vielleicht draufkommen werde. Ferner war ich ein

äußerst raffinierter Jäger, Fischer; Schlittschuhläufer, Schlittenfahrer, Scheibenschütze
10.X.13
und aber auch ein großer Liebhaber von Äpfeln. - Für die vorher erwähnten Jugend-Spiele war ich ein bedeutender Reklamemacher. Vielleicht sogar der bedeutendste in diesem Hause, zumal ich da auch, die nicht leicht nur einzuholenden amerikanischen Reklamemacher sogar überflügelte. Für jede Spielsaison war ich die lebendige Reklame. Ich war aber zugleich der Tonangebende in jeder

Saison, ebenso wie für die Frauenmode noch immer die französische Metropole tonangebend ist. (Mir dünkts aber, dass dazu dennoch die Männer dieser nach strenger Mode sich kleidenden Damen, die tonangebendsten sind. – denn solange der Mann nicht den Ton der Münzen anschlägt giebt es auch keine Frauenmode.) Um nun zurückzukommen auf das, von was ich eigentlich spreche resp. schreiben will, muss bemerken, dass in dem Momente ich mit meinem Spiele einsetzte, gleich auch meine Schulgenossen

auf dieses Spiel übergingen, denn das gehörte ja zum guten Ton, zumal ich diesbezüglich als Doyen der Spiele galt. – Ich habe die Spiele nicht erfunden. Das waren süß überlieferte, gerne akzeptierte Erbstücke auf die wir stolz waren. – Immerhin erinnere ich mich genau, dass ich selbst zwei Spiele verfasste, zu denen ich selbst den Text und die Musik geschrieben habe. – Diese zwei Spiele waren mehrere Saisonen hindurch auf dem Repertoire und noch heute – würde ich Anspruch erheben –

müßte ich die Tantiemen dafür erhalten. – Sie sind wohl heute schon ein wenig – durch neu importierte Spiele – abgedroschen aber sie erfreuen sich dennoch des Bewusstseins einstiger Größe, ehemaligen Triumphes und Siegeszuges. – das war wohl keine „Lustige Witwe“ oder „Dollarprinzessin“; keine „Eva“ oder „Graf von Luxemburg.“ – das waren Spiele die sich von den operettenhaften lossagen und dem dramatischen der Oper sich nährten. – (Möglich gelingt oder gelang es den seeligen

Verfassern sie noch näher der Oper zu bringen.) Der eine Schlager hieß „na zid“. – Der andere Reißer hieß „cara daj vojnika“. – Beim ersten bestand der ganze Text in dem Titel – denn stets wurden gesungen oder gerufen „na zid“. Da stellten sich gleich die Jungen knapp an der Wand an und das Spiel begann, indem einer aus gewisser Entfernung mit einem Ballen auf die Angestellten zielte. – Traf er mit diesem harten Ballen einen der

Wand knapp stehenden, was stets höchst dramatisch im Spiele ausgearbeitet gewesen, so konnte er – steigernd das dramatische – weiter zielen. – Traf er nicht, da hielt das operettenhafte seinen Einzug, denn er mußte sich anstellen und derjenige, der nicht getroffen wurde, entwickelte nun das Spiel so weiter. Da gab es also einen steten Wechsel von dramatischen und operettenhaften Szenen. Zum großen Teil – waren wir doch gute Schützen – dominierte

im Spiele die Oper. Der Text also sehr einfach – umso überwältigender aber die Musik, besonders da sie sich der Opernmusik näherte – und das tat sie oft. – Alles in allem also genommen, war das ein gewaltiger Schlager. – Nicht minderen Erfolg erzielte ich mit meinem Reißer „care, daj vojnika“¹. – Der Text war auch hier ganz einfach kurz – aber genug um im ganzen Spiele zur Geltung zu kommen. Da wurde stets nur
–––––––––––––
¹ care, daj vojnika: serbisch für Zar, gib mir einen Soldaten.

gesungen, „care, daj vojnika.“ – Gleich faßten sich die Jungen fest an den Händen und bildeten so eine Aufstellung im Freien – ähnlich einer Kette aus Menschenhänden. – Ihnen gegenüber eine zweite Kolonne, auch sich fest an den Händen haltend. An der Spitze einer jeden Kolonne stand der „car“. – Nachdem das alles geordnet war, d.h. um musikalisch zu sprechen – die Introduktion vollendet gewesen, begann das eigentliche

Spiel, das sofort ins Dramatische überging. Der Stärkste aus einer, welchen immer Kolonne stürmte auf die andere Kolonne los und versuchte mit der Brust die Kette durchzubrechen. Gelang ihm das, da gestaltete sich das Spiel höchst dramatisch denn alle, die sich vom „caren“ losgerissen wußten mußten in die andere Kolonne als ehrliche Mitkämpfer eintreten. – Auch diese der Opernmusik sich nähernde Musik, die in solchen

Momenten einsetze, die ist unbeschreiblich! Und dann erst diese Höchstdramatische Point wenn es dem Armstürmler gelang, die Kette knapp an den „car“-en durchzubrechen und so alle Streiter seinem caren heimbringen konnte! Und erst dieses Schwunghafte dramatische Fortissimo, da der car, zumal er ohne Streiter geblieben einige als Gnadengeschenk erhalten musste. Dieses weinende Moll das dann einsetzte. – Das ist aber wirklich

unbeschreiblich. – Doch wenn der Anstürmler nicht die Kette durchgebrochen und zur Strafe, in der anderen Kolonne dann mitkämpfen mußte, da gab es wieder ein solches, übermütiges Operettenhaftes. – Die Hauptsache war aber das „Reißen“. Und ich kann freudig zurückblickend sagen, daß das auch ein gewaltiger „Reißer“ gewesen. – Beide Spiele leben fort und wenn schon nicht wie damals

als solch „gewaltige Schlager“ und „Reißer“ so aber doch als „Schlager“ und als „Reißer“ und mir dünkts, daß sie noch lange, lange nicht zu Ehren des noch lebenden Verfassers auf dem Repertoire stehen werden. – Wie ich vorher erwähnte, war ich ein äußerst passionierter Jäger. – Ich jagte nämlich sehr gerne Fliegen, nämlich diese ganz gemeinen lästigen Hausfliegen und Regenwürmer. – Das tat ich aber auch nur Sonn- und Feiertags und zwar auch nur

im Sommer. – Dieses Jagen hatte ebenso wie das Jagen auf Wild seinen bestimmten Zwecke gehabt. – Ich brauchte nämlich diese kleinen Raubtiere um noch größere Raubtiere einzufangen. Nämlich – wie bereits gesagt, ich war ein passionierter Fischer. Da ging ich oft mit meinem Bruder zeitlich in der Früh Fische fangen. – Wir fingen aber zumeist Frösche, alte Kleider, Fetzen u. dgl. auf – selten, ja sehr selten einen Fisch. Die Hauptsache dabei war aber doch

daß wir fischen gewesen. Wie das wirkliche Fischervolk wanderten wir von einem Ort zum anderen und prüften die Wasser auf den Fischinhalt. Überall wohin wir kamen wähnten wir ein Gewimmel von Fischen – warfen aus – – – und zogen stets ´nen Frosch oder Lumpen hinaus. – Immerhin hatte das Schicksal mit uns aber doch zum Schluße Erbarmen gehabt und wir gingen nicht leer nach Hause – denn unterwegs fanden wir größtenteils

einen Fischerjungen, der uns seine kleinen winzigen Fischerlchen für par Kreuzer hingab. – Diese Fische haben ganz natürlich für zu Hause wir gefangen – denn wie hätten wir anders können das so abgebrannte und abgehetzte Antlitz rechtfertigen und die Nervosität verständlich machen, die uns auf den Mienen lag und die die Anstrengung beim Fischfang uns verschaffte? Und heute besingt diesen Fischfang

allso der Poet: „Ich weiß es noch, wie du nach Hause kamst: „Heut wird gefischt mein Jung! Mach dich zurecht! Im Tümpel sah ich einen großen Hecht.” – Ich stolperte wie in ein großes Glück. Noch seh´ ich´s heut, wie du den Hamen nahmst. – Ich trug den Kober – strahlend war mein Glück! Hin nach dem Tümpel! Über grüne Wiesen die mit dem Grün den blauen Himmel

priesen wo Hahnenfuß mit den polierten Kronen die Sonne fing und abwarf wie aus Spiegeln. Ich flog vorauf, als ging es wie mit Flügeln und hatte Not, das Fischzeug zu verstauen. „Komm, Bruder, rasch!“ Er schwankte mit dem Hamen, bis wir zum Hecht an unsern Tümpel kamen. Und fischten los! – Nichts drin! – Vom andern Ende! – Die Stange faßt´ ich

mit in meine Hände! – Auch wieder nichts! – Nun denn nochmals gezogen! Von Quer zu Quer, daß sich die Binsen bogen! Vom Kamgarn [sic] rieselten die großen Tropfen, kein großer Hecht hob stürmisch an zu klopfen. Ich bat und flehte einmal noch zu ziehen – und immer nichts, fast hätt ich aufgeschrien! Und wie wir zögernd dann nach Hause gegangen, da sagte er ernst mit

hoffnungsarmem Munde,- die Stimme klingt ganz klar zu dieser Stunde. „Von nun an werden wir wohl Frösche fangen!“ Was das Schlittschuhlaufen und Schlittenfahren betrifft sei sofort bemerkt, daß ich keine direkte Schlittschuhe hatte, noch einen Schlitten, dem Pferde vorgespannt werden konnten. Meine Schlittschuhe, auf denen ich besonders sicher stand und mit denen ich auch Bogen laufen konnte, waren das Fabrikat

des Schusters Rendel. Dieser sorgte stets für feste „Schlittschuhe”. Trotzdem brauchte in einer Schlittschuhsaison drei bis vier Paare Schlittschuhe. – Ich war am Eislaufplatz stets der erste – ich musste mir nämlich meine Eislaufbahn herrichten – glätten diese – denn diese Schlittschuhe, die ich hatte waren nicht besonders glatt, zumal sie sehr oft, ehe sie für unbrauchbar erklärt wurden, repariert wurden. – Auch wenn ich da ganz durchfroren heimkam da war ich ganz

logisch dem gesunden Wintersport – dem Schlittschuhlaufen – huldigen. Mein alter guter Vater lächelte da stets und sagte: „Unser Sohn sorgt schon für Arbeit für Rendel.” –
Besser ging es mir allerdings mit dem Schlittenfahren. Den hängte ich ganz einfach auf einen Wagen oder Schlitten an und ließ mich mitziehen. Ich habe oft Peitschenhiebe bekommen von denen die kein Anhängsel duldeten, aber

das Schlittenfahren war wohl diese wert. Und wenn es da an Anhängselmitnehmenden fehlte, da ließ man sich einfach vom Kalvarienberg auf dem kleinen Schlitten hinab. Heute glaube ich nennt das die zivilisiert-organisierte Sportwelt: rodeln und wir nannten das einfach „Schlittenfahren”. – Also schon damals waren wir unbewußt Mitglieder dieser zivilisierten organisierten halsbrecherischen Sportwelt. Also heute täte ich das, mußte

ich nolens volens um nicht einen schlechten Eindruck auf die Sportwelt zu machen, sagen – ich „rodelte”. –
Ich sagte, daß ich auch ein passionierter Scheibenschütze gewesen. Da denkt man vielleicht an das militärische Scheiben-Schießen. Mein Scheiben-Schießen bestand in etwas ganz anderem. Da waren nämlich die Schleuderer mal wieder in ihrer Hochsaison. Ich und mein Bruder hatten uns gleich einen solchen hergestellt um sicher Scheiben aufs Korn zu nehmen.

Als eine der interessantesten Scheiben schien uns das Kreuz der serbischen Kirche. Ich lief da rasch in den Stadtpark um frischen Proviant, der aus frisch aufgeworfenem Kies bestand - für unsere Schleuder zu holen, um so ausgerüstet, nachdem wir vorher den Schleuder auf seine Festigkeit geprüft haben, machten wir uns zur serbischen Kirche auf. Was da geschah, soll der Poet in Folgendem erzählen:
„Mach auf dich, Jung! Nimm deinen Schleuder mit! Zur serbischen

Kirche führt uns heut der Schritt. Am Turme hoch, wo´s gülden Kreuz dort blinkt, für uns ´ne sichere Zielscheibe winkt. Mit Wonne nahm ich rasch den Schleuderer her und prüft das Holz, den Gummi band ich sehr. Des Stadtparks frisch herbeigeschafften Kies, fast jede meines Anzugs Tasche pries. Nun kampfbereit wir standen da zum Aufbruch auch die Stunde war schon nah. – Auch durch der breiten Straße bunt Gedränge, wie beide kamen in die Kirchenflur, die enge; – in einer Ecke sichren Schutz gefunden

wir, vor jedem Ansturm wähnten wir uns sicher hier. – „Los“ nun hört ich rufen. Der Kies sprang auf, gen das Kirchenkreuz´ nahm es den Lauf. Wie pocht die Brust, wie lacht das Herz bereits, da ich zum erstenmal getroffen ´s Kreuz. Auf einmal doch der „Schuss“ verfehlt, sah sich im Fenster ausgewählt; im Nu schon war der Kirchendiener hier, vorher versperrt uns doch er jede Tür ... –
Was nun geschah, das könnt ihr euch doch

denken. Enthüllungen darob ihr könnt uns schenken...
–––––––––
Nach all dem Ganzen sie uns doch entließen – da sagte Bruder mir: „Da tüchtge Schützen wir, von nun, so gehen wir „Scheiben“ schießen”.
Ra.

23.X.13
Nachtrag!
Infolge meines wohlgenährten Aussehens ernannte mich der Herr Lehrer zu seinem Majordomus. – Meine Pflichterfüllung als solche lag darin, daß ich alltäglich dem Herrn Lehrer die Zehner- und Viererjause und den schwarzen Kaffee in die Schule bringen musste. – Er – der Herr Lehrer hatte ein besonderes Vertrauen zu mir, mehr aber zu meiner Wohlgenährtheit vielleicht

die ihm Bürge war, daß ich von der ihm bestimmten Ration nichts wegnaschen werde. – Ich brachte aber auch dem Herrn Lehrer die Jause in tadellosem Zustande. Nicht ein einziges Mal verriet diese ein Einmengen meiner zarten Fingerchen so wie auch der „Schwarze“ in der Schale keinen zweiten Rand aufweisen konnte. – Meine Wohlgenährtheit bürgte wirklich auch mir dafür, dass ich nicht in Verführung geraten werde zumal ich doch

zu Hause alles in Hülle und Fülle hatte. – Der Winter aber führte mich in Versuchung ein. Der Herr Lehrer hatte nämlich in der auf dem Stocke des Tempels sich befindenden an den „Geisterboden“ grenzenden Kanzlei einige Meterzentner [50 kg] Äpfel aufbewahrt. In allerhöchstem Auftrage hatte ich nun von dort täglich zur Jausezeit einen Apfel zu bringen. Um diese einigen Meterzentner wegzuschaffen, hatte man also einige Monate

gebraucht – da doch im Tage höchstens 3 Äpfel dieser Masse entnommen wurden. Manchmal war es nur wirklich – trotz meines Heldentums nicht einerlei in die Kanzlei hinaufzusteigen wo doch nebenan der „Geisterboden“ war. – Ich war wohl mit diesem sehr vertraut, aber immerhin war es doch für mich besonders in solchen wilden schneeigen Wintertagen ein „Geisterboden“! – Erwähnen wollte ich aber dennoch nichts – denn es handelte sich ja um das bereits detailliert geschilderte

Renommee. – Und wie ich da oftmals die Kanzlei – nennen wir sie „Speisevorratskammer“ verließ und die Stiegen eiligst hinablief als verfolgen mich die dem „Geisterboden“ entsprungenen „Geister“ – wobei es mir mehr aber dennoch um den Apfel als um mich selbst gewesen, da hoffte ich indes für die ausgestandene Angst ein Stückchen vom Apfel zu bekommen – denn ich war doch fest überzeugt daß der Herr Lehrer mir die Angst vom Gesichtchen lesen müsste. – Ich wußte

nämlich, daß ich zu Hause, wenn ich einmal erschrocken, rasch etwas zu essen oder zu trinken bekam und daß es wirklich geholfen. – Vom Herrn Lehrer so ein Stückchen vom Apfel zu bekommen, hätte mir wirklich auch wohlgetan. – Ich bekam aber nichts. Da hieß es ganz einfach vorsorgen und sich selbst von den prallen Äpfeln einen nehmen zur Sicherheit, falls mich wieder die „Geister“ verfolgen sollten. – Da ich aber nicht in vorhinein wusste, wann mir

diese Visionen kommen könnten, habe ich mir also stets einen Apfel genommen, so oft ich nur einen für den Herrn Lehrer zu holen hatte. – Von dieser Zeit angefangen, haben mich die Geister nicht mehr verfolgt – denn ich stand mehr unter dem Eindrucke, beim Verlassen der Speisevorratskammer, des genommenen Apfels als der mich ev. verfolgenden Geister. – Somit brauchte ich keinen Apfel um die Angst zu vertreiben und schenkte ihn größenteils

ein und demselben Schulgenossen, der mich schon bei der Türe wartete. – Mit welcher Heißgier der Arme den Apfel gegessen und beneidend sahen ihm die anderen Unbemittelten zu. Dies hatte auf mein waches, gutes, kindliches Herz eine derartige Wirkung, daß ich nicht nur meine Jause fast täglich ihnen gab, sondern auch dafür sorgte, daß nicht einer von ihnen ohne Jause bleibe. – Das ging mir doch leicht – ich war ja

des Herrn Lehrers Majordomus. – Es begann nämlich eine neue Ära, die Ära der „5-6 mitnehmenden Äpfel“. – Diese verteilte ich stets unter meinen unbemittelten Schulgenossen. – Der Herr Lehrer wurde dadurch garnicht verkürzt – er bekam doch auch täglich seinen Apfel. – In meiner echt kindlichen Mengeschätzung däucht es mir, daß diese große Menge von Äpfeln niemals verzehrt werden

könne, auch wenn ich mit vollen Händen die Äpfel berechtigt und unberechtigt hergebe. Doch eines Nachmittags mußte ich aber dennoch bemerken zu meinem Leidwesen, daß es sich um die letzten 4 oder 5 Moschauer handle. – Ich nahm sie mit – dem Herrn Lehrer einen, den Kollegen den Rest. – Nun wußte ich, daß kein Apfel mehr da ist. So naiv war ich aber dennoch nicht, daß ich angenommen,

daß der Herr Lehrer glauben werde, daß er alle Äpfel aufgegessen. – Ich war aber anders naiv. – Ich glaubte, daß, nachdem ich den größten Teil der Äpfel den Armen gab, der liebe Gott dorthin andere Äpfel legen müsste. – Denn meine Handlung war ja eine edle und brave. – Ich glaubte umso mehr daran, da ich sobald ich brav gewesen, stets von Niccolo sogar – den ich für den christlichen Gott

hielt beschenkt wurde und er mir so manches in dem am Fenster abends hineingestellten Stiefelchen zurückließ. Da war mir doch wohl evident klar, daß mich der jüdische Gott beschenken werde, zumal ich brav gehandelt u. z. diesmal mit bloß vielen, vielen Äpfeln – aber wieder für meinen Herrn Lehrer und für meine armen Schulgenossen. Von dem wurde aber gar nichts und ich wollte fast glauben, daß der christliche

Gott – der Niccolo – besser wäre als der jüdische Gott. – Wie gewöhnlich schickte mich der Herr Lehrer einen Apfel holen. Ich lief wie sonst – aber diesmal wußte ich wirklich nicht, ob ich einen Apfel finden werde oder nicht – denn ich glaubte ja doch, daß der liebe Gott dahin andere Äpfel gab. – Ich kam, ich sah – und war besiegt. – Sehr langsam, unbekümmert der mich etwa verfolgenden Geister ging ich die Stufen hinab

und erstattete meiner Majordomuspflicht gemäß dem Herrn Lehrer die Meldung: „Bittschen Herr Lehrer, es ist kein Apfel mehr auf dem Boden.“ – (Was ich während der Meldungserstattung für Qualen ausgestanden, das kann man sich wohl denken.) „Was, es sind keine Äpfel mehr; wo sind denn diese vielen Äpfel hingekommen; soll ich denn allein in so kurzer Zeit 300 Kilo Äpfel aufgegessen haben?“ „Bittschen Herr Lehrer

ich weiß nicht, ich habe lange gesucht und gesucht und habe nichts finden können – vielleicht bittschen, haben die Meise [sic] die Äpfel gegessen.“ (Ich war riesig erfreut, da ich so etwas richtiges gefunden und die Mäuse als Äpfelesser hinstellte. – Diese Annahme war mir doch genug logisch, zumal ich doch oft zu Hause hörte, daß die Mäuse sehr viel Getreide auffressen. Da konnte ich ja auch annehmen, daß die Mäuse diese süßere Frucht – die Äpfel eher aufgefressen

haben.) „Dann muß man ja Spuren von Mäusen finden, ich will mal hinaufgehen und sehen; komm mit mit [sic] mir!" - (Das war mir ein Stich ins Herz, denn auf das rechnete nicht meine Naivität – daß mir aber der liebe Gott, dennoch in dieser gefahrvollen Stunde gnädig sein werde Äpfel hingeben werde, auf das rechnete sie aber dennoch.) Wir langten

in der „Speisevorratskammerkanzlei“ an. Der Herr Lehrer untersucht jedes Winkelchen – ich ganz geschäftig natürlich auch um doch wenigstens ein Mäuseloch zu entdecken; doch nichts war zu finden, gar keine zurückgebliebene Spur. Der liebe Gott gab auch keine anderen Äpfel hin und da ich das konstatierte, hätte ich am liebsten mit meinen schwachen Fingerchen selbst ein Loch

gebohrt um mit Archimedes dann zu schreien: „Ich habs gefunden. Bittschen, hier ist ein Mauseloch.“ – Also gar keine Spuren. „Wie konnte ich so etwas denken“ dachte ich in mir, „daß im Tempel Mäuse wären; der liebe Gott hatte diese Tiere doch aus dem Tempel herausgetrieben!“ – Ich war also gefangen. Jetzt hieß es alles angestoßen. – „Komm mit mir hinunter“ klang es im barschem

Tone. –
„Sag mir jetzt, wo sind die Äpfel hingekommen!“
„Bitt – bittsche-n, Herr Lehrer, i-ich h-ab sie den – den Kindern ver-teilt.“
„Welchen Kindern?“ (Ich erzählte ganz gebrochen den ganzen Sachverhalt) „Also meine Äpfel … Du, Schurke, so mir nichts dir nichts austeilen?!“
„Bitt-schen… .“
„Nichts „Bittscheen“, du Schurke musst sehr hart bestraft werden.“

„A-aber… .“
„Nichts aber – Roth hole mir vom „Schames“ (Kirchen-Tempeldiener) den Schlüssel von der Totenkammer.“ – Das Blut stockte mir, denn in der Totenkammer Aufenthalt genommen zu haben, hatte ich noch nicht die Ehre gehabt. Schon wieder aber war es mein Stärkerenommee – das mich kaltblütig erscheinen ließ. – Der Schames kam brachte selbst den Schlüssel und übergab ihn dem Herrn Lehrer – abwartend, was da weiter geschehen werde.

Die Gegenwart des Schames machte mich aber noch kaltblütiger und kouragierter. – Ich habe mich fast ganz wieder gefunden, da ich noch den anderen Lehrer lachen sah. – Der Herr Lehrer öffnete die Totenkammer. – Blitzschnell überflog ich die darin aufgestappelten [sic] Gegenstände, solange ich mich noch unter Menschen gesehen, und konnte konstatieren, daß darin der Leichenwagen steht und an diesem das für Totenwaschung

nötige Waschbecken – und all das nennt man Totenkammer, obwohl ich nicht einen einzigen Toten sah. – „Da geh hinein du Schurke, da wird dir das Apfelverteilen vergehen.“ – Ich ging hinein, stellte mich knapp an die Türe und wartete dennoch trotz aller Kourage, daß selbe abgesperrt werde, was auch bald geschah. – Da der von allen Seiten durch die Furchen der Bretter die Sonne hineinbrach und somit in dieser „Totenkammer“ im

Verhältnis zum „Geisterboden“ so ziemlich hell gewesen, war es nicht aus um meine Kourage. – Ich machte mich mit allen darin stehenden Gegenständen vertraut; schrieb auf die Bretter der Kammer und auf alle Gegenstände fast meinen Namen und eines tat mir nur Leid, daß ich gerade dann kein Messer bei mir hatte um meinen Namen auf einem recht unbemerkbaren Platze des Toten-

wagens einzuschneiden. Es war alles in allem genommen so recht heimlich in dieser „Totenkammer“, die ich mir bis dahin mit Toten ausmalte. Nach einer vollen Stunde fast wurde ich frei gelassen. – Hätte ich geschrien, wie meine Genossen, die später dahinkamen, so wäre ich sofort frei gelassen worden; da ich mich aber ruhig verhielte, blieb ich darin eine Stunde fast. – Der Herr Lehrer kam und ließ mich

ohne ein Wort zu sprechen hinaus. Ich sprach aber auch nichts – ich dachte mir aber deshalb mehr und alles ging auf das eine Denken aus, daß mir das Verteilen der Äpfel des Herrn Lehrer an meine unbemittelten Schulgenossen diese eine Stunde in der Totenkammer wert war.

Schluss!
30.X.13
Wie gewöhnlich haben sich die auserwählten Schulgenossen schon gegen ein Uhr in der großen Schulhalle – im Tempelhof versammelt um noch vor Beginn des Unterrichtes den Körper im Spiele zu stärken. Ein jeder hatte noch ein Stückchen Brot oder Obst, zu was er sich keine Zeit genommen zu Hause zu verspeisen, was er essend, dennoch nicht vom Spiele fernbleiben konnte, zumal ihm doch die eine Hand dabei frei geblieben und die andere der Gehilfe zum „Fangerl-Spiel“ gewesen. Brauchte man zufällig beide Hände im Spiele, da halfen wir uns dadurch aus, dass wir im Munde die noch übriggebliebenenen kleinen oder großen Speisestücke festhielten und von denen ganz einfach allmählich ein Stückchen abbissen. Damit dies rascher gehe, fanden sich schon solche, die auch etwas davon abgebissen; war es ein zu großes Stück, fanden sich auch schon für das Abnehmer. Die Hauptsache war, doch dass alles ja eher aufgezehrt werde. Ja, auch der sonst „herrisch“ oder „herrschaftlich“ scheinende Binder, fehlte nicht in

in dieser Spielpartie, schenkte aber dennoch nicht zu Hause die etwaigen noch nachträglich aufzutischenden Mahlzeiten, sondern brachte sie der Tradition gemäß zur gemeinschaftlichen Verspeisung mit. Eines Tages, da wir gerade am schönsten schon im Spiele drinnen waren und ein jeder im Innern wohl bedauerte, dass bald, gerade jetzt, die Schule geöffnet wird werden, hörten wir von weitem Musik. Wir stutzten – drehten uns nach allen Seiten, - das Spiel wurde sofort abgebrochen und entnahmen die Musik in der Hauptgasse. Zeit war noch um ihr wenigstens bis in die Bozanija Gasse nachzulaufen. Doch wir wussten, dass es uns dann schwer fallen wird die Musik im Stiche zu lassen und liefen ihr deshalb überhaupt nicht nach. Wissen wollten wir aber doch, wohin die Musik gehe. Da schrie einer der Schulgenossen, der aber nicht zu unserer „Spielverbindung“ gehörte: „Aha Majalis.“ Da schauten wir uns groß an und verstanden uns schon – es hieß wir gehen auch „aufn Majalus“? „Also gehen wir aufn Majalus“? frug einer. „ja“ lautete der rasche Entschluss – aber noch immer

standen wir auf demselben Flecke, denn die Schule wurde uns zu einem Dorn im Auge. – Und obendrein schrie noch einer, der dem Spielverbande nicht angehörte, damit es ja alle Anwesenden gut hören: „Ich wer schon dem Herrn Lehrer sagen, gehts nur aufn Majalus.“ „Jetzt erst recht“ dachten wir in uns, der soll sehen, dass wir uns nicht fürchten. – Und ehe wir noch die Trommel zum zweiten Male in der Bezanijagasse einschlagen hörten – da waren wir schon Eins und schrieen [sic] laufend: „Ach was, no sag dem Herrn Lehrer, wir sind aufn Majalus gegangen.“ Rasch haben wir uns der Musik angeschlossen und leisteten ihr große Dienste, zumal wir doch vier an der Zahl gewesen und die Musik dadurch verstärkten, dass wir mitlaufend, mit unseren Händchen auf die Schulbücher gleich einer Trommel draufschlugen, wodurch ein größerer Effekt erzielt wurde. – Um sie je mehr zu verstärken wurden die bekannten Märsche auch mitgeflötet. – Das zum Mitflöten nötige Pfeiferl trug doch ein jeder stets mit sich – denn wir waren ja groß im Pfeifen und ein Auspfeifen, dass wir gut auspfeifen konnten, beweißt [sic], dass man unser

Auspfeifen sogar bis ans Ohr des Herrn Lehrer brachte. – Der Herr Lehrer hatte nichts anderes zu tun gehabt, als uns auszupfeifen. – Das war das Echo. Das war ja gar nicht großmütig von ihm, dass Auspfeifen von Kindern auch mit Auspfeifen beantwortete. – Bis aber sein Auspfeifen an unser Ohr drang, da waren wir schon längst die Helden aufm Majalus. – Ein jeder bekam von der Majalusleitung eine sichere Existenz wenigstens während der Majaluszeit andauernd gesichert. – Eintrittsgeld hatten wir keines – daher mussten wir vor der Türe bleiben. Das touchierte uns wohl – Denn der liebe Toscha – nach dem der eigentliche Toscha-Brunnen benannt wurde und der dazugehörende Majalusplatz sorgte auch für solche Exemplare, nachdem er Bläume daselbst pflanzte, auf die wir hinaufkletterten und so den Majalis von oben hinab schauten. – Da wir aber auch schon hinabschickten, was den Herrn da unten nicht angenehm gewesen lud man uns höfl. ein an der Feier teilzunehmen und sicherte uns eine Existenz zu. – Ich z. B. saß im Rasen und drehte den Spiess auf dem ein

recht sympathisch aussehende Schweinerl bis zum Schwindel gedreht wurde. Wären nicht unten die Zeichen des delphischen Orakulums gewesen, welche es ganz meschuge machte, d. h. betäubten, so hätte man den Arzte holen müssen. – Ich labte es aber stets, indem ich es mit meiner Hand und Fingern streichelte – die ich mir aber dann reinlichkeitshalber abschleckte. – Das ging so lange, bis […] der Arzt dennoch in Gestalt des Wirten gekommen und die Sezzierung vorgenommen, bei welcher Gelegenheit ich als Assistent meinen Teil, aber einen recht hübschen Teil bekommen. Ein anderer Schulgenosse wieder hat die untergeordnetste Stelle bei Herrn Bachus eingenommen, was aber genug war um ab und zu von gebranntem Malz zu genießen. – der herrischste von uns war in der Abteilung für allgemeine Geschirr-Reinigung angestellt. – Als Chef dieser Abteilung hatte er das Recht als erster die einlaufenden Schüsseln nach guten Bissen durchzusuchen. – Alle hatten wir also höhere Existenzen – vor Hungersnot brauchten wir uns nicht zu fürchten. Ganz natürlich hatten wir auch Stellvertreter,

die stets vertraten, da wir an den Salontänzen teilgenommen wobei wir aber doch schon durch unser Äußeres die Nichtkompetenz verrieten zumal an unseren Händen und Kleidern nichts Salonmäßiges lag – was nur Folgen des Berufes gewesen. – Für kurze Zeit waren wir aber dennoch salonfähig und konnten sowohl Gras- als auch im Erdenpeluchesaal¹ mittanzen. Inmitten des in alle das sich hineingefundenen, kam ein Störenfried in der Gestalt eines Polizisten, der nach uns fahndete im Auftrage des Herrn Lehrers. Höflich lud er uns mit ihm mitzugehen. Nicht einmal Zeit läßt er unsern Posten zu kündigen. So handelt die Polizei, lachend und scherzend, mit dem Säbel des Herrn Polizisten auch spielend gingen wir mit ihm in die Schule. – Ja, mit ihm, denn er ging voraus und wir liefen ihm nach – wir eskortierten also ihn – den Armen, der
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¹ peluche: französisch für Plüsch.

sich wirklich diesen Weg hätte ersparen können – d. h. der Herr Lehrer hätte das unsern Eltern und diese wieder dem Herrn Porzeleijmann das ersparen können. – Im Schweiße gebadet kamen wir nun in der Schule an. – Da erzählten wir auf Geheiß des Herrn Lehrers, wie wir im Schweiße unseres Angesichtes unser Brot verdienen mussten und wie es überhaupt kam, dass wir mitliefen. – Da rief er den Porzeleijmann auf die Seite und nachdem er ihm etwas ins Ohr geflüstert, zu uns hin wendend: „Nächstens werdet ihr bei der Polizei eingesperrt werden, für heute verzeih ich euch alles.“ – Der Porzeleijmann ganz ernst: „Da, da.“ – Wir gingen aber ruhig auf unsere Plätze und dachten uns, dass wir nächstens schon „Herr Realschüler“ genannt werden, mit dem die Polizei nichts tun kann. Ra
Heft 3 - Aladar Pollak

1. IV. 1914
gingen uns aus dem Wege. Diesmal war es aber nicht notwendig, daß sie uns aus dem Wege gehen, denn wir schlugen die Spielbude auf einem von Passanten nicht frequentierten Orte – im kleinen Tempelhofe – auf. Im großen Tempelhofe wähnten wir uns nicht ganz sicher, denn ein jeder konnte von der Straße aus uns sehen und wir wollten ja doch nicht haben, daß man sage, daß die Herren Realschüler Klicker spielen. Im kleinen Tempelhofe hingegen, waren wir sicher solchen Vorwürfen nicht ausgesetzt zu sein. – Gespielt wurde da mit großem Eifer wie ehedem und nichts verriet, daß

wir bereits in der Realschule inskribiert waren. – Ja sogar eifriger wie ehedem wurde gespielt, denn wir mussten nicht stets auf der Lauer sein und gefasst sein, daß der Herr Lehrer käme und uns gewohnheitsgemäß das Spielzeug abnehmen könne, welches er wieder gewohnheitsgemäß seinen Enkeln, Schulgenossen von uns, überließ. – Wäre der Herr Lehrer diesmal gekommen und von uns das Spielzeug abverlangt, hätten wir es sicher nicht gegeben, noch hätten wir den Versuch gemacht uns zu verlaufen. – Wir wären sicher ruhig geblieben, denn wir waren ja schon Realschüler. – Der Herr Lehrer erschien aber nicht – und

es war auch gut, denn schließlich und endlich weiß ich ja doch nicht, ob wir nicht auf des Herrn Lehrers Geheiß das Spielzeug abgegeben hätten und konsterniert von dannen gezogen wären. – Er kam also nicht, und so konnte sich unser damals in der Hochsaison stehendes Klickerspiel ruhig entwickeln. So eifrig es auch war, glich es dennoch nicht dem Spiele von früher. – Denn während wir früher tüchtig hasardieren konnten, zumal es uns an Klickern nicht fehlte, mussten wir uns diesmal anfangs aber bloß mit solidem Spielen abfinden, nachdem doch ein jeder von uns 6 Klicker bloß hatte. – Von denen 6 Klickern drei oder vier auf

einmal im Hasardspiele verlieren wollten wir ja schon aus dem einfachen Grunde nicht um nicht als „schwarz“ erklärt, aus dem Spiele ausgeschlossen zu werden. – Lange konnte diese Absicht aber keinen festen Platz eingeräumt bekommen, denn das solide Spiel ward allmählich zu einem faden Spiele. – Um ihm die fade Seite zu entziehen, begann man zu hasardieren; und was war die Folge dessen? Bald wurde der eine, bald der andere „schwarz“ erklärt. Er brauchte sich nicht selbst „schwarz“ zu erklären, denn über 6 Klicker konnte man ja genaue Rechnung führen. Anders war dem schon,

wenn einer viele Klicker hatte, da konnte man nicht konstatieren, ob er „schwarz“ sei ohne seine Mithilfe; da musste er selbst angeben, daß er nun „schwarz“ geworden. – So erging es uns alsbald – und wie bereits erwähnt wurde bald der eine, bald der andere „schwarz“. – Dem wurde aber insoferne abgeholfen, daß der Gewinner dem Verlierenden Klicker dann borgte. – Das war eine köstliche Errungenschaft – nämlich, daß der Gewinner dem Verlierenden etwas borgte. Das war ein großer Fortschritt. – Ein Beweis, daß man an der Eingangspforte der Realschule schon stand. Früher

nämlich hätte der Gewinner um keinen Preis das getan, denn er behauptete, daß die Erfahrung ihn lehrt, daß er stets dann, wenn er vom Gewinne etwas herborgt, verliere. – Und tatsächlich sind solche Falle [sic] in den Spielannalen der Volksschule vereinzelt verzeichnet. – Würde ich mich anstrengen, fände ich heute noch nach Jahren die Namen jener heraus, die so großherzig gehandelt haben. – Solche Namen prägten sich fest ins Gedächtnis ein. – Es ist dies auch ganz begreiflich, denn wie könnte man seines Retters in der Not nicht gedenken, wie könnte man solchen Großmut vergessen. – Ich

habe vielleicht heute nach Jahren noch nicht diese Großmütigen vergessen, ein Beweis dafür, daß sie mir scharf in Erinnerung stehen, aber auch dafür, daß ich oft „schwarz“ geworden und eines Retters bedürftig war, der sich aber auch nicht immer einstellen wollte. – Diesmal gab es aber unter uns freiwillige Retter. Kaum ist einer „schwarz“ geworden, wurde ihm schon auch ohne, daß er zuerst hartnäckig anpumpen musste, ausgeholfen. – Da sich aber solche Akte allzuoft und obendrein in einer für unser noch immer viel zu solides Spiel, zu kurzen Zeit wieder-

holten, war man gezwungen einen anderen Spieß umzudrehen, zumal auch schon die Schulden einzelner 20-30 Klicker betrugen, eine Schuld für die man voraussetzte, daß sie nicht allzuleicht bezahlt werden könne. Somit wurde der „schwarz“ gewordene, der noch obendrein mit dem Liede „Alle schwarze Brüder“ gehänselt wurde und dem das Prädikat abge„fäckelt“ tapfer verliehen wurde, aus dem Spiele ausgeschlossen. – Ich weiß nicht, ob ein solch geadelter, in den Ruhestand versetzter ein saureres Gesicht gemacht hätte, wenn man ihn aus der Schule ausgestoßen hätte, als er damals für

ein bitter-saures Gesicht machte, da er vom Spiele ausgeschlossen wurde. – So wie aber auch andere Schulen mit solch Ausgestoßenen Erbarmen haben, so hatten wir auch alsbald mit ihm Erbarmen. – So wie aber auch die Schule die ihn aufnimmt an seine Aufnahme harte Bedingungen knüpft, so taten wir es auch. –
9. V. 14. Vor allem musste er seine Schuld begleichen. – Es klingt dieser Satz ein wenig paradox wenn man bedenkt, daß er ja infolge dessen, daß er „schwarz“ geworden aus dem Spiele gestoßen wurde. Und trotzdem konnte er seine Schulden begleichen, indem er für jeden vom Anzuge abgenommenen

Knopf mindestens 5 Klicker abgeschrieben bekam. – Hatte er somit nach Begleich seine Schuld noch einen Überschuss an Knöpfen an seinem Anzuge zu verzeichnen, so handelte er diese in Klicker um. – Er ward dadurch also mit allen vorherigen Rechten ins Spiel eingesetzt. – Alle Rechte hatte er wohl, die Geschicklichkeit von ehedem fehlte ihm aber, denn er war mit einer Hand gebunden, zumal er die Hosen halten musste. Waren ja doch die Knöpfe entfernt, wodurch die Träger keinen Halt mehr haben konnten. – Trotz all dieser Hemmnisse spielte er aber trotzdem und verlor aber auch

seine „Knöpfeklicker“ wie wir die für Knöpfe erworbenen Klicker nannten. Und war er dann abermals „schwarz“ und hatte er keine Knöpfe mehr, außer denen, die er um keinen Preis von der Stelle entfernt hätte, so musste er sich vom Spiel zurückziehen. – Solches und Ähnliches kam an diesem Nachmittage nicht selten vor. – Nachdem wir abwechselnd durch das ungleichmäßige Lenken des Glücksschiffes von solchem Schicksale ereilt wurden, d. h. zuletzt nur Einer blieb dem Fortuna hold gewesen und ihn reichlich mit Klickern und Knöpfen beschenkte, hieß es aufbrechen. – Abgefäckelt nach hause zu gehen, mit den Händen in den Taschen die

Beinkleider zu halten und den Rock mit Nadeln von der Innenseite zu befestigen, war uns wohl nichts Neues. – Daß es uns aber alle diesmal so eigenartig anmuten werde, hatten wir aber nicht gedacht. – Ja, es regte sich das Gefühl und der Stolz im Realschüler. – Geschehen war es aber, nach Hause musste es gegangen sein, die Beinkleider durften nicht „zu Falle“ gebracht werden und da blieb nichts anderes übrig als das Los eines Abgefäckelten geduldig ertragen. – Zu Hause legte man dann behutsam den Rock ab, verdeckte womöglichst je besser die Stellen der abgerissenen

Knöpfe an den Beinkleidern und wartete die Gelegenheit ab bis man zu Nadel und Zwirn komme um die fehlenden Knöpfe zu ersetzen, welche aber ihrer Mannigfaltigkeit wegen stets das Mosaik am Anzuge bildeten. – Denn das waren ja solch bunte Knöpfe, daß sie schon als Mosaik betrachtet werden konnten. – Generationen weinten aber um diese Knöpfe, ebenso wie ich um meine Knöpfe weinte, die sich event. der andere Schulgenosse, der uns alle abfäckelte anmachte, zumal sie doch aus Perlmutter gewesen, der zuliebe er seine

Stahlknöpfe entfernte. Dabei konnte er aber noch nicht wissen, daß er diese einmal doch von sich, trotzdem sie so festgenäht, im Spiele hergeben könne. – Aussichten für ein künftiges Spiel, waren wohl wenig vorhanden, denn wir nahmen uns vor als Realschüler vom Spiele derartiger Sorte zu lassen. – Damals kannten wir aber noch nicht die Spielsitten und Bräuche aus eigener Erfahrung, die in der Realschule dominierten. – Wir mußten sie aber bald kennen lernen, zumal wir doch schon am zweitnächsten Tag zur Schule gingen. –