Mittwoch, 2. Februar, Gymnasium am Löhrtor
Zwölf Schülerinnen und Schüler des Projektkurses Astronomie (Q1) machten sich in der zweiten Stunde unter Herrn Schumachers Führung auf in Richtung Siegener Hauptbahnhof. Nach einem nachmittäglichen Ausflug zu einem regionalen Hobbyastronomen im September 2021 sollte an diesem Tag nun die erste große Exkursion anstehen.
Das Ziel: Das Bochumer Zeiss Planetarium, von dem sie nur eine Bahnreise zu trennen scheint. Doch es verlief anders als geplant…
10:00: Startbereit und mit gekauften Tagestickets steht unsere muntere Truppe also am Bahngleis bereit. Doch dann, die Ernüchterung: RE 16, die Direktverbindung zu den Sternen, wird den Bahnhof nicht verlassen. Ein Baum, der den Kampf gegen die kalte Nacht aufgegeben hatte, versperrt die Gleise. Unsere Reise droht zu enden, bevor sie überhaupt angefangen hat. Doch noch lassen sich unsere kleinen Astronomen nicht unterkriegen. Lene bringt mit ihrer DB-App Licht in die Dunkelheit. RE 9, die Linie in die Domstadt, kann die Planetengucker über Umwege dem Ziel so nahe bringen, dass nur ein Umstieg nötig ist und die Einhaltung des Zeitplanes möglich bleibt. Und so beginnt nun die Reise. Um 10:12 wird aufgesattelt und mit nur zwei Minuten Verspätung dampft die Lokomotive los und unsere Helden lassen den Siegener Hafen hinter sich. An Bord wird gespielt und gelacht, alles ist perfekt.
12:00: „Lauf, lauf!“ In heller Aufruhr fetzen 13 Gestalten über den Bahnsteig Köln Messe/Deutz. Nur ein Gleisbett trennt sie von RE 1, der Verbindung nach Bochum. Doch es ist zu spät, alle Bemühungen umsonst. Die Räder setzen sich quietschend in Bewegung, langsam rollt der Zug davon. Dem Projektkurs bleibt nichts anderes übrig, als dem in der Ferne verschwindenden Zug traurig hinterher zu blicken, der Anschluss ist verpasst. Unbemerkt hatte sich die Ankunft der RE 9 verzögert und die fleißigen Forscher einem verhängnisvollen Schicksal ausgeliefert, sie sind in Köln gefangen! Aber Herr Schumacher gibt noch nicht auf. Im Gänsemarsch folgt die Meute zum Schalter. Doch vergeblich. Der nächste Zug fährt erst die Stunde drauf, ein pünktliches Eintreffen zur Vorstellung im Planetarium ist nicht mehr möglich. Ob noch umgebucht werden kann, steht in den Sternen. Einen Versuch bleibt es wert, wenn die Alternative Umkehr lautet.
12:55: Eine Stunde Speis und Spaß in der Stadt von Rhein, Dom und Lanxess Arena später versammeln sich die Gefährten wieder am Bahnsteig. Diesmal bekommen sie den Zug nicht nur von hinten zu sehen. Mit vollem Magen und neu geschöpfter Kraft geht es auf den nächsten Abschnitt der Reise, dabei ist noch immer unklar, wie es in Bochum weitergehen wird. Immer wieder versucht Herr Schumacher, die unsichere Lage durch ständiges Anrufen im Planetarium zu klären und wird dabei auf eine harte Geduldsprobe gestellt: Es herrscht totale Funkstille, die Anrufe gehen ins Leere. Waren letztendlich doch alle Bemühungen vergebens? Außerhalb der schützenden Bahnfensterscheiben ziehen Düsseldorf, Duisburg und Essen vorbei, grüne Auen am Rhein aber auch hohe Schornsteintürme und Backsteinhallen des Ruhrgebiets. Bochum rückt in greifbare Nähe.
14:15: Angekommen! Nach kurzer Überfahrt mit der U-Bahn steigt die Gemeinschaft wieder zurück ins Tageslicht. „Zu den Sternen“ geht es heute leider nicht mehr, dafür aber viel weiter bis zu den Schwarzen Löchern. Herr Schumachers Einsatz am Telefon wurde mit Erfolg gekrönt. Es bleibt sogar Zeit, in Kleingruppen die Stadt zu erkunden und den Mittagshunger zu stillen. Ob den weitläufigen Stadtpark mit Teichanlage oder doch die nahe gelegene Innenstadt, Bochum hat einiges zu bieten. Wie ein Upgrade Siegens wirkt die fremde Stadt. Ein bisschen größer, ein bisschen sauberer, doch mit ähnlichen Straßenzügen und vergleichbaren Gebäudefronten. Und zwischen einer Schule im Altbau und einer modernen Synagoge thront die Kuppel des Zeiss Planetariums exponiert und zentral auf einem kleinen Hügel mitten in der Stadt. Im Gegensatz zu einer Sternwarte ist dies bei einem Planetarium möglich, da es die Bilder des Himmels nur von innen an den runden Deckenboden projiziert und nicht mittels eines Fernrohrs aufnehmen muss. Jene wären in der Stadt durch die hohe Licht- und Feinstaubverschmutzung in der Luft untauglich.
15:30: Gespannt machen es sich unsere wissbegierigen Himmelsforscher also im Innenraum des Kuppeldoms gemütlich. Gepolsterte Sitze, von denen jedes Kino nur träumen kann, stehen kreisförmig angeordnet um das Herzstück des Planetariums: Den Sternenprojektor Zeiss Universarium IX. Dieser besteht aus vielen kleineren und größeren Projektoren, die unter der Oberfläche einer großen beweglichen Kugel versteckt, den Sternenhimmel auf die Erde holen. Und genau das dürfen die seit fünfeinhalb Stunden auf diesen Moment Wartenden nun erleben. Wie ein schwarzer Schleier dunkelt sich der Raum von oben nach unten ab, bis nur noch die grünen Schimmer der Notausgangsbeleuchtung zu sehen sind. Doch bald gesellen sich weitere Lichter hinzu, erst unscheinbar und dann immer heller und immer zahlreicher, bis der gesamte Himmel in seiner Pracht über den Köpfen unserer staunenden Beobachter erwacht, anmutender und faszinierender denn je zuvor. Stimmungsvolle Musik aus dem 3D-Sound-System entführt sie in die grenzenlose Weite und Schönheit des Weltraums, der deutlich mehr Raum als Welt ist. Von der Erde geht es zu den Planeten des Sonnensystems, weiter zu den bekannten Sternen bis hin zum Zentrum unserer Galaxie, dem supermassereichen Schwarzen Loch Sagittarius A*. Geschickt wird Wissen und Verzauberung mithilfe von atemberaubendem Bildmaterial und extravaganten Animationen vermittelt. Was ist ein Schwarzes Loch? Woher kommt es und wohin geht es? Und welche anderen Himmelskörper gibt es am nächtlichen Firmament zu entdecken? Mit der Beantwortung dieser Fragen wird das im Unterricht erlangte Bewusstsein für Mensch, Raum und Zeit erkannt, erweitert und gesprengt. Nach einer Stunde neigt sich die imposante Vorstellung dem Ende. Neben begeistertem Geflüster ist auch das ein oder andere genussvolle Schnarchen zu hören. Wer soll es ihnen übel nehmen? Schließlich ließ es sich unter dem Sternenhimmel noch nie so behaglich schlafen.
16:30: Nach diesem Ausflug in die tiefsten Tiefen des Alls steht für die zufrieden gestellten Träumer ein weiterer Aufenthalt in Bochum an, bevor sie sich mit der Bahn auf den Heimweg begeben. Wie aus einer anderen Welt zurückgeholt, streifen sie durch die Gassen und über die Plätze der zur Ruhe gekommenen Stadt, um noch die letzten schönen Momente des lauen Wintertages zu nutzen, der zweifellos einer der schöneren Schultage der Pandemiezeit geworden war.
17:45: Ohne Zwischenfälle oder Umwege brachte RE 16 die weit gereisten Siegerländer wieder zurück in die Heimat, erschöpft aber glücklich. Ruhiger gestaltete sich die Rückfahrt als die Hinfahrt. Vorbei an Landstrichen, Dörfern und Städten, über die sich der selige Frieden des Abends legte. Nach zweistündiger Zugfahrt betraten unsere kleinen Wissenschaftler wieder sicheren Boden im vertrauten Bahnhofsgelände und gingen danach auseinander, alle ihren eigenen Wegen folgend. Doch alle unter dem selben grenzenlosen Himmelsgewölbe, von dem sich in dieser bewölkten Nacht nur einige wenige funkelnde Lichter zeigten, als ob es uns sagen wollte: „Komm schon, erforsche mich. Es gibt noch so viel zu entdecken!“
Zum Nachdenken:
Uns wurde im Planetarium eine gewaltige Show geboten. Eine Show über das, was die Menschheit bereits erreicht hat, aber eben auch über so vieles, was sie noch nicht erreicht hat. Man kam ins Staunen, ins Schwelgen und ins Träumen. Doch außerhalb der Tore dieses Ortes der Fantasie und Unbeschwertheit wird man wieder ins kalte Wasser der Realität zurück katapultiert. Wie oben bereits erwähnt, steht vor dem Planetarium eine Synagoge. Jedoch ist diese umgeben von zahlreichen Alarm- und Überwachungsanlagen und großen Scheinwerfern. Bunte, gemalte Kinderbilder hängen an Fensterscheiben hinter hohen Sicherheitszäunen und vor dem Eingangsportal stand durchweg ein besetztes Fahrzeug der Polizei, bei einem Wachwechsel waren wir sogar dabei. Dies sind nur Zeichen dafür, wie sehr Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland immer noch vor Hass und Gewalt geschützt werden müssen, ein Kapitel, das schon längst der Vergangenheit angehören sollte und leider viel zu häufig nur der Vergangenheit zugeschrieben wird. Unsere Aufgabe als Schüler und Lehrer kann es nur sein, ja muss es sein, dem gezielten Hass und Rassismus gegen andere Menschen und besonders dem Antisemitismus den Kampf anzusagen. Menschenfeindliche und -verachtende Gesinnungen und Handlungen, die gerade auch in der Radikalisierung vieler Menschen durch die Corona-Pandemie ihren Ausbruch finden, können und dürfen von uns nicht akzeptiert werden. Es ist unsere Aufgabe, aktiv für das Miteinander einzutreten und an die Menschheit als Menschheit zu denken, um vereint zu leben, zu wachsen und Erfolg zu haben.